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Frevelopfer

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Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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sagte Ragnar Þór leise. »Der Unfall war nicht meine Schuld.«
    »Daran zweifelt auch niemand, Ragnar. Er ist auf deine Fahrbahn hinübergeschwenkt.«
    Der Mann im Auto hupte. Ragnar Þór blickte zu ihm hinüber. Die Frau an der Kasse hatte offensichtlich nicht vor, etwas zu unternehmen. Ragnar ging zu dem Auto, und Elínborg folgte ihm. Der Fahrer ließ die Scheibe herunter, reichte ihm wortlos einen Fünftausendkronenschein, dann ging die Scheibe wieder hoch.
    »Was möchtest du wissen?«, fragte Ragnar Þór, nachdem er die Benzinpumpe in Gang gesetzt hatte.
    »Gab es bei dem Unfall etwas Ungewöhnliches, etwas, was du vielleicht nicht zu Protokoll gegeben hast und was möglicherweise den Unfall erklären könnte? In meinen Unterlagen steht nur, dass Runólfurs Vater anscheinend die Kontrolle über seinen Wagen verloren hat.«
    »Ich weiß.«
    »Seine Frau meint, dass er eingeschlafen sein muss. Stimmt das, oder ist da vielleicht etwas anderes gewesen? Hat er die Kontrolle über den Wagen verloren? Ist ihm vielleicht eine brennende Zigarette aus der Hand gefallen? Was ist passiert?«
    »War er der Vater des jungen Mannes im Þingholt-Viertel?«
    »Ja.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Jetzt weißt du es.«
    »Wenn ich dir etwas sage, was nicht in dem Bericht steht, dann muss das absolut unter uns bleiben.«
    »Ich habe nicht vor, mit irgendjemandem darüber zu reden, darauf kannst du dich verlassen.«
    Ragnar Þór schraubte den Tankdeckel zu und hängte den Zapfkolben ein. Sie blieben bei der Zapfsäule stehen. Es war Mittag geworden, und es war kalt.
    »Das war ein klarer Fall von Selbstmord«, sagte Ragnar Þór.
    »Selbstmord? Woher willst du das wissen?«
    »Du wirst es niemandem sagen?«
    »Nein.«
    »Er hat mich angelächelt.«
    »Er hat gelächelt?«
    Ragnar Þór nickte. »Er hat gelächelt, als wir zusammenprallten. Er hat mich richtiggehend ausgewählt, meinen Lkw, denn der war groß und hatte einen Anhänger. Der Mann ist urplötzlich auf meine Fahrbahn gewechselt. Ich konnte nichts tun, ich hatte keine Chance zu reagieren. Er hat direkt auf mich zugehalten, und kurz bevor wir zusammenprallten, strahlte er übers ganze Gesicht.«
    Die Maschine startete am Nachmittag vom Inlandsflughafen in Reykjavík. Sie war nur halb voll und stieg schnell zur Flughöhe auf. Es hieß, dass diese Flugverbindung demnächst wegen zu geringer Auslastung nicht mehr staatlich subventioniert werden würde und eingestellt werden müsste. Wegen Nebels am Zielflughafen hatte es einige Verzögerungen gegeben, und erst um drei Uhr hatte die Maschine Starterlaubnis erhalten.
    Der Pilot begrüßte die Passagiere über die Lautsprecheranlage, entschuldigte sich für die Verspätung, gab die voraussichtliche Flugzeit bekannt und ließ sich über das Wetter am Zielflughafen aus; dort waren Windstärke sechs, vier Grad Frost und dichte Bewölkung gemeldet worden. Zum Schluss wünschte er den Passagieren einen guten Flug. Elínborg zog den Sicherheitsgurt enger und dachte an den Flug vor einigen Tagen. Sie glaubte, dass es derselbe Pilot war. Die meiste Zeit flogen sie über den Wolken, und Elínborg genoss die Sonne zur Linken. Sehr viel hatte man in diesen düsteren Herbsttagen in Reykjavík nicht von ihr gesehen. Sie hatte ihre Unterlagen über den 101-Mord dabei, wie er jetzt in der Presse genannt wurde. »Þingholt-Mord« war out. In den Medien wurde mittlerweile über den Fall berichtet, als sei einer der zahlreichen Yuppies im Þingholt-Viertel umgebracht worden. Es war sowieso nur eine Frage der Zeit gewesen, dass die Postleitzahl von Reykjavíks Innenstadt dem Verbrechen seinen Namen geben würde.
    Elínborg las den Ausdruck von Konráðs Geständnis, auf dem er weiterhin beharrte. Sie wusste allerdings nur zu gut, was für seltsame und unvorhersehbare Auswirkungen die Untersuchungshaft auf Menschen haben konnte.
    »Ich möchte meine Tochter sehen«, hatte er an einer Stelle erklärt. »Ich weigere mich, weitere Fragen zu beantworten, bevor ich nicht mit ihr gesprochen habe.«
    »Das ist nicht möglich«, war die Antwort des Beamten gewesen. Elínborg ging davon aus, dass es Finnur gewesen war, der Mann, der sie auf die Verbindung zwischen Eðvarð und Lilja hingewiesen hatte.
    »Wie geht es ihr?«, fragte Konráð.
    »Wir haben das Gefühl, dass sie bald umkippen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
    Elínborg zog eine Grimasse, als sie das las. Konráð fragte ständig nach seiner Tochter, und Elínborg fand, dass ihr

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