Frevelopfer
Kollege da unangebrachte, kindische psychologische Strategien anwandte.
»Ist alles in Ordnung mit ihr?«
»Im Augenblick ist alles in Ordnung mit ihr.«
»Was meinst du damit, im Augenblick?«
»Das weiß ich nicht. U-Haft ist natürlich kein Zuckerschlecken.«
Kurz darauf hatte Konráð kapituliert. Die Fragen drehten sich wieder um sein Eintreffen am Haus. Ihm war mehrmals dieselbe Frage gestellt worden, und plötzlich schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Elínborg sah ihn vor sich, wie er sich im Verhörraum auf seinem Stuhl aufrichtete und aufstöhnte.
»Es hat wahrscheinlich keinen Sinn, damit noch länger weiterzumachen. Ich weiß nicht, wieso ich geglaubt habe, damit durchkommen zu können. Ich hätte gleich mit euch reden sollen, nachdem ich ihn umgebracht hatte. Dann hätte Nína nicht so viel über sich ergehen lassen müssen. Es war ein schrecklicher Fehler, das nicht getan zu haben. Ich möchte aber klarstellen, dass ich in Notwehr gehandelt habe.«
»Ist das jetzt ein …?«
»Ich war es, der ihn getötet hat. Lasst Nína in Ruhe, ich war es. Ich bedaure es zutiefst, dass ich sie in mein Versteckspiel hineingezogen habe. Es war meine Schuld, alles war meine Schuld. Ich habe die Kontrolle über mich verloren, als ich sah, in welchem Zustand Nína war und wie es in der Wohnung aussah, als ich eintraf. Sie sagte mir, wo sie war, wo er wohnte. Ich bekam diesen grauenvollen Hilferuf. Ich bin so schnell wie möglich dort hingefahren. Nína hatte es geschafft, die Tür zu öffnen. Als ich die Wohnung betrat, sah ich gleich das Messer auf dem Tisch und ging davon aus, dass er Nína damit bedroht hatte. Ich wusste nicht, was da vor sich ging. Nína hockte auf dem Boden, und dieser halb nackte Mann beugte sich über sie. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Er drehte mir den Rücken zu. Ich dachte, er wollte Nína etwas antun, griff nach dem Messer und habe ihm die Kehle durchgeschnitten. Er hat mich nicht gesehen. Dann hab ich sofort das, was ich von ihren Sachen sah, zusammengerafft und meine Tochter durch den Garten hinter dem Haus zur Straße darunter und dann zu meinem Auto geführt. Auf dem Weg nach Hause habe ich irgendwo angehalten und das Messer ins Meer geworfen, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo. So war es, und das ist die Wahrheit.«
Am darauffolgenden Morgen hatten die Kriminalbeamten auch Konráðs Frau vernommen, die mitschuldig war, wenn man etwas auf Konráðs Aussage geben konnte. Sie bestätigte, dass er mit ihrer Tochter zum Auto zurückgekehrt sei, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Konráð angehalten und sich der Mordwaffe entledigt hatte. Sie alle waren wegen des Geschehenen außer sich gewesen, und sie war sich nicht sicher, ob sie sich an den genauen Ablauf und an alles erinnern konnte, was passiert war. Unter den gegebenen Umständen hielt man es nicht für nötig, auch für sie eine Verfügung auf Untersuchungshaft zu erwirken.
Elínborg erschrak heftig, als die Maschine in einem Luftloch absackte und heftig hin- und hergeschüttelt wurde. Sie griff nach den Sitzlehnen, und die Papiere gingen zu Boden. Die Rüttelei dauerte einige Minuten, doch dann kam die Maschine wieder zur Ruhe. Der Pilot meldete sich ein weiteres Mal über den Lautsprecher, sprach über die Turbulenzen und empfahl den Passagieren, angeschnallt zu bleiben. Elínborg sammelte die Papiere ein und ordnete sie wieder. Sie fand es unangenehm, in diesen Propellermaschinen fliegen zu müssen.
Anschließend vertiefte sie sich wieder in das Geständnis. Konráð wurde nach diesen und jenen Details gefragt und konnte klare Auskunft geben. Die Frage jedoch, die Elínborg am meisten interessierte, nämlich die Frage, wieso Runólfur selbst Rohypnol genommen hatte, blieb unbeantwortet. Konráð hatte ihn nach eigener Aussage nicht dazu gezwungen, es zu schlucken, und Nína konnte sich an nichts erinnern.
Die Maschine verringerte ihre Flughöhe, und als sie durch die Wolken gestoßen war, sah Elínborg, dass immer noch eine leichte Schneedecke über dem Land lag. Sie konzentrierte sich wieder auf ihren Fall und auf Konráðs Geständnis, um sich von der Landung abzulenken. Dabei kam ihr die Szene daheim in ihrer Küche wieder in den Sinn. Sie sah Teddi vor sich, als sie mit ihm über den Schmierölgeruch an seiner Jacke sprach.
»Worauf willst du eigentlich hinaus?«, hatte Teddi gefragt.
»Konráð hat ausgesagt, dass es bei Runólfur so roch, als habe er etwas mit Petroleum verbrannt«,
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