Frevelopfer
ist Automechaniker und besitzt eine Werkstatt. Seine Jacke hängt den ganzen Tag an seinem Arbeitsplatz und ist durchzogen von diesem Schmierölgeruch. So riecht es in allen Autowerkstätten im Land. Der Geruch ist außerordentlich hartnäckig und bleibt in den Sachen hängen.«
»Schmierölgeruch?«
»Ja, Schmierölgeruch.«
»Und? Was hat das zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht, ich bin mir keineswegs sicher. Aber du solltest auf jeden Fall von weiteren Geständnissen absehen, bis du wieder von mir hörst.«
Der Pilot landete nicht besonders geschickt, und als die Maschine unsanft auf der Landebahn aufsetzte, schreckte Elínborg aus ihren Gedanken auf.
Neunundzwanzig
Elínborg erhielt dasselbe Zimmer in der Pension im Dorf und packte in Ruhe aus. Da es bereits auf den Abend zuging, hatte sie keine sonderliche Eile. Auf dem Weg vom Flughafen ins Dorf hatte sie mit Sigurður Óli und anderen telefoniert, die an dem Fall arbeiteten, und versucht, sich weitere Informationen über Runólfurs Familie zu beschaffen, über die Mutter und den Vater, der mit einem Lächeln in den Tod gegangen war, über seine Freunde im Dorf und deren Familien. Die Informationen, die sie von ihren Kollegen erhalten hatte, waren jedoch nur sehr spärlich, zumal sie sehr kurzfristig abgerufen worden waren. Aber wenn ihr Gefühl sie nicht trog, würde in den nächsten Tagen einiges hinzukommen.
Die Besitzerin der Pension erkannte sie sofort wieder und wunderte sich darüber, sie nach so kurzer Zeit wiederzusehen. Sie machte keinen Versuch, ihre Neugierde zu unterdrücken.
»Gibt es einen besonderen Grund, weshalb du schon wieder da bist?«, fragte sie, als sie mit Elínborg zu ihrem Zimmer ging und ihr die Tür öffnete. »Das ist wahrscheinlich kein Höflichkeitsbesuch, oder?«
»Wenn ich mich richtig erinnere, hat jemand behauptet, hier passiere nie etwas«, sagte Elínborg.
»Ja, das stimmt, hier passiert herzlich wenig«, sagte die Frau.
»Vielen Dank, ich komme schon zurecht«, sagte Elínborg, um neugierigen Fragen zu entgehen.
Nach dem Auspacken ging sie zum einzigen Restaurant am Ort, setzte sich an einen Tisch und bestellte wieder den Fisch. Diesmal war sie ganz allein in dem Lokal. Die Frau, die Lauga hieß und für alles zuständig war, nahm die Bestellung schweigend und kommentarlos entgegen und verschwand in der Küche. Entweder konnte sie sich nicht an Elínborg erinnern, oder sie hatte keine Lust auf höflichen Small Talk. Bei Elínborgs erstem Besuch war sie wesentlich gesprächiger gewesen. Es verging einige Zeit, bis sie mit Elínborgs Fisch erschien und ihr den Teller vorsetzte.
»Wunderbar«, sagte Elínborg. »Ich weiß nicht, ob du dich erinnern kannst, aber ich war vor einigen Tagen hier, und der Fisch bei dir war köstlich.«
»Vielen Dank. Der ist bei mir immer ganz frisch«, sagte Lauga, ohne darauf einzugehen, ob sie sich an Elínborg erinnerte. Sie wollte wieder in die Küche, aber Elínborg hielt sie mit ihren Fragen zurück.
»Als ich das letzte Mal hier war, habe ich mit einem Mädchen gesprochen, das sich die dvd s da in der Ecke angeschaut hat«, sagte sie, indem sie auf das Gestell am Eingang deutete. »Weißt du, wo ich sie finden kann?«
»Es gibt immer noch ein paar Mädchen hier im Dorf«, sagte Lauga. »Keine Ahnung, wen du meinst.«
»Sie war vielleicht zwanzig, glaube ich, blond und mit schmalem Gesicht. Sie sah sehr hübsch aus, war schlank und trug einen wattierten blauen Anorak. Ich könnte mir vorstellen, dass sie öfter hierherkommt. Ich nehme an, das hier ist der einzige Videoverleih im Dorf.«
Lauga ließ sich Zeit mit der Antwort.
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du …«, setzte Elínborg an, aber Lauga fiel ihr ins Wort.
»Weißt du, wie sie heißt?«
»Nein.«
»Der Beschreibung nach kommt sie mir nicht bekannt vor«, erklärte Lauga achselzuckend. »Aber sie kann ja auch aus dem Nachbardorf sein.«
»Ich hatte gehofft, dass du mir helfen könntest, nichts für ungut«, sagte Elínborg und konzentrierte sich auf ihren Fisch. Er schmeckte genauso hervorragend wie das letzte Mal, frisch, genau richtig gebraten und perfekt gewürzt. Lauga verstand sich aufs Kochen. Elínborg überlegte, ob ihre Fähigkeiten hier am Ende der Welt vergeudet waren. Sie entschuldigte sich im Stillen. Sie wusste nur zu gut, dass sie zu Vorurteilen gegenüber der Landbevölkerung neigte. Es wäre sicher angemessener gewesen zu denken, dass die Dorfbewohner sich glücklich schätzen konnten,
Weitere Kostenlose Bücher