Friedemann Bach
Abendwind das Tuch hinweg, das ihre Brust verhüllte.
Friedemann eilte auf die Geliebte zu und schloß sie, überwältigt von ihrer hinreißenden Schönheit, in die Arme. Sie drückte ihn leise von sich: »Liebst du mich wahrhaft, Schetrar? So, daß du dich an mich ketten willst durch Zeit und Raum, bis wir zusammen versinken im Quell des ewigen Urwesens? Dann schwör's bei der Nacht und dem Tode!«
»Bei der Nacht und dem Tode, ich bin dir zu eigen für alle Zeit!«
Die Erde versank. Im Tale unten schluchzte eine Nachtigall, sie sang von Liebe ...
Als das Paar am anderen Morgen, Seligkeit im Herzen, Glückstrunkenheit im Auge, vor den Dadi trat, umwölkte sich zwar seine Stirne, aber er breitete dann doch seine Hände über ihm aus und segnete es. Schetrar und Towadei waren nun Mann und Frau.
Friedemann, dem der Panzer seiner Selbstsucht, die Doktrin Cardins, geborsten war, hatte sich aus der einseitigen Spekulationssphäre des Verstandes an der Hand der Liebe, umgeben von der hohen, geheimnisvollen Einfalt der Natur, umdrängt von einer fast patriarchalischen Gesellschaft, dem Gemütsleben, dem alten, poesievollen Eden seiner Jugend wieder zugewandt. Je mehr er einsehen lernte, daß mit der reinen Verstandesherrschaft nichts getan sei, um so tiefer versank er nicht nur in die wonnevollen Schauer der Liebe und Religiosität, sondern auch in die tiefe, nebelhafte Mystik der Naturanschauung, wie sie dem Zigeunervolke eignet. Er war, wie bei allem im Leben, auch hier ein Mensch der Extreme und ohne die nötige Kraft und den Willen, an den Grenzen stillzustehen, wo Verstand und Herz sich scheiden.
Alles das hatte Towadei mit der zwiefachen Weltklugheit des Weibes und der Zigeunerin bald erkannt und zugleich, daß das einzige Mittel, ihr Glück für immer zu sichern, darin bestehe, ihn immer tiefer in diese Mystik der Liebe zu verstricken, ihn von ihr vollständig abhängig zu machen. Ihr feines Ahnungsvermögen flüsterte ihr die Besorgnis zu, daß mit der Erreichung ihres Glückes auch schon seine Wandelbarkeit drohe. Aber es waren nicht nur diese in der inneren Wesenseigenart ihres Gatten liegenden Gründe, die ihr das Herz oft schwer machten, mehr noch ängstigten die gegenwärtigen Daseinsbedingungen der Horde, die Unsicherheit des Aufenthaltsortes, die greifbare Gefährlichkeit der Lage ihre Seele mit trüben Bildern. Mit vorsichtigen Andeutungen zuerst, dann mit immer bestimmteren Vorstellungen und Bitten suchte sie daher ihren Vater zu bewegen, die Zelte hier abbrechen zu lassen, um sie an einem weniger gefährdeten Platze wieder zu errichten.
Der Dadi schüttelte den Kopf. Kein Ort sonstwo in der Welt bot zur Zeit so günstige Gelegenheit zur Befriedigung aller Lebensgenüsse und zur mühelosen Bereicherung als ihr jetziges Standquartier. Das wechselnde Kriegsglück, die zahlreichen Schlachtfelder in Böhmen, Schlesien und Sachsen mit ihrer fetten Beute, der Schleichhandel, der mit Aufhebung der Grenzkontrollen ungeahnte Ausmaße angenommen hatte, die vollkommene Gesetzlosigkeit, die überall eingerissen war, -- das alles gab die rechte Lebensluft für den Zigeuner, und der Alte dachte nicht daran, sie einer verliebten Ängstlichkeit der Tochter wegen aufzugeben. Hinzu kam noch die Spionagetätigkeit im kaiserlichen Solde, der sich die Hälfte der etwa zwanzig Familien starken Gesellschaft mit Eifer hingab. Solche Tätigkeit brachte etwas ein, und überdies hatte man dadurch von den Österreichern nichts zu befürchten. Und schließlich auch von den Preußen nicht; denn diesen verriet man wiederum, was man auf österreichischer Seite erspäht hatte. Von wo sollte also eine Gefahr drohen?
Vermittler für die Spionageberichte an die Österreicher war der Pfarrer von Dittersbach, ein grimmer Feind Friedrichs und der Preußen; er übersetzte die von den Zigeunern erhaltenen Nachrichten ins Griechische und ließ sie durch einen berittenen Ackerknecht dem kaiserlichen General zustellen, dessen Feldgeistlicher sie dann wieder rückübersetzte.
Auf die Dauer der Zeit konnte es indessen nicht ausbleiben, daß von der einen oder anderen Seite der Doppelverrat Dadis und der Seinen bemerkt wurde. Der österreichische Kommandant faßte zuerst Verdacht; er ließ ihnen eine geschickte Falle stellen, und als sie prompt hineingingen und damit den Verdacht bestätigten, erteilte er einem Detachement berittener Wallonen, der zügellosesten Truppe, die er besaß, den Befehl zu einer pardonlosen Strafexpedition.
Towadei,
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