Friedemann Bach
weil sie ihn zu brauchen hoffte, und der nach einer solchen Niederlage fast keine Aussicht sah, seine Pläne zu verwirklichen, war in grenzenloser Verzweiflung. Von den Spionen des Gegners umlagert, hatte er nicht einen Vertrauten um sich, der ihm ohne Gefahr des Entdecktwerdens hätte Dienste leisten können. Er richtete daher seinen Blick wieder auf Siepmann, sein unsichtbares Faktotum, und schrieb ihm nach Warschau:
»Nr.788. -- P.P., ich ersuche Sie, sofort zurückzukommen. Im Augenblick ist das Terrain an ihrem Platze nicht zu halten. Man muß den Feind aus der Nähe treffen. Einzelne Anknüpfungspunkte dazu habe ich, doch fehlt mir die unsichtbare Hand, die ohne Geräusch fortspinnt. Nehmen Sie das alte Stübchen in der bekannten Straße. Zeichen wie sonst. -- 118, 502, 712.«
Etwa vierzehn Tage darauf, als Graf Brühl eben zum Diner des Königs fuhr, trat eine alte, dürftig gekleidete Frau eilig an seinen Wagen und reichte ihm zitternd eine Bittschrift an den König. In der Ecke des Kuverts stand »Nr. 788«.
»Kommen Sie in ein paar Stunden wieder, liebe Frau! Ich will sehen, was sich tun läßt.« Er warf ihr einen Taler in die Schürze und fuhr weiter. In die Ecke des Wagens gedrückt las er:
»Nr. 789. -- P.P., angelangt und einlogiert. Heute nacht erwarte ich von zwei Uhr ab meinen Bruder Heinrich aus Plauen zum Besuch. -- Ergebenst 313 121, 515 981.«
Als Brühl vom Diner des Königs zurückkam, harrte die Frau an der Tür. Der Graf winkte ihr bejahend aus dem Schlage.
Kaum war er in sein Kabinett getreten und hatte sich der Hoftoilette entledigt, als er sofort seinen Reisewagen befahl und den Ministerialrat Erdmann rufen ließ.
»Lieber Erdmann«, rief er dem Eintretenden zu, von dem er ahnte, daß er im Solde Sulkowskys stand, »ich muß nach Plauen. Vertreten Sie mich, wenn etwas passiert. In drei Tagen bin ich zurück.«
Eine Stunde darauf fuhr Brühl in seiner Reiseequipage nach Plauen, stieg dort im ersten Gasthof ab und entließ seinen Wagen mit dem Auftrag, am anderen Tage wiederzukommen. Noch hörte er das verhallende Geräusch der Räder, als er schon den Bürgermeister rufen ließ, der erschrocken und tief gebückt vor ihm erschien.
»Lieber Bürgermeister, Sie werden erstaunt sein, mich hier zu sehen. Ich komme, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten.«
»Welch hohe Gnade, Exzellenz! Was in meinen geringen Kräften steht, Exzellenz!« stotterte das kleine Männchen entzückt und devot.
»Lieber Bürgermeister, es ist von ungeheuerster Wichtigkeit für den Staat, einem Geheimnis, einem furchtbaren Geheimnis, das in dieser Gegend obwaltet, auf die Spur zu kommen. Dazu sollen Sie mir helfen! Hören Sie genau zu: in einer halben Stunde wird eine gewöhnliche Kutsche vor Ihrer Tür stehen. Mit Anbruch der Dunkelheit werde ich in Ihr Haus kommen. Sie werden mich als Kaufmann Siepmann bewillkommnen und mir eine Reiselegitimation geben. Darauf werde ich abfahren. Weder Ihre Familie noch sonst jemand darf wissen, wer ich bin, sonst kostet es Ihren Kopf. Tun Sie aber, was ich befehle, und halten Sie reinen Mund, so sollen Sie ganz besonders belohnt werden. Gehen Sie!« --
Der Abend war hereingebrochen, und Siepmann der Zweite traf in Dresden ein, passierte mit seiner Legitimation ungehindert und unerkannt das Tor und erklomm den dritten Stock einer Spelunke der Vorstadt, wo er den lieben Bruder aus Warschau fand. Der Empfang war keineswegs so herzlich, wie er unter Brüdern üblich zu sein pflegt, denn der Warschauer schien vor dem Plauener große Ehrfurcht zu haben. Nachdem der neugierigen Wirtin der Ankömmling vorgestellt war, brachte sie das Abendbrot und verschwand.
»Wie steht das Geschäft in Warschau, Siepmann?«
»Schlecht, sehr schlecht«, antwortete Siepmann, »kein Begehr nach sächsischer Ware. Wollen vaterländische Qualität, wenn sie auch schlechter ist.«
»Das wird man ihnen schon verleiden. -- Doch genug davon! Ich habe hier ein Geschäft für dich. Du kennst doch meinen Konkurrenten hier?« und Brühl malte einen Anfangsbuchstaben auf den Tisch.
»Ja, geehrter Herr Bruder!«
»Dieser Konkurrent umstellt mich mit seinen Leuten und hat mir eben im Geschäft einen bedeutenden Schlag gegeben; auch weißt du, daß er mir bei meiner Werbung hinderlich ist.«
»Ja, Bruder Siepmann!«
»Ich weiß nur eine Art, ihm in den Weg zu kommen. Mein Gegner ist verliebt und unterhält eine Liebschaft mit einer Tänzerin. So heimlich er's betreibt, so habe ich doch davon eine Ahnung.«
Weitere Kostenlose Bücher