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Friedemann Bach

Friedemann Bach

Titel: Friedemann Bach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Emil Brachvogel
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Stimmungszauber seiner Melodien begrifflich.
    Friedemann beherrschte die Form ebenso großartig wie der Vater. Alles, was dieser an Begabung, Kenntnissen, Ausbildung, Fertigkeit und Schöpferkraft besaß, hatte auch er. Nur eins fehlte ihm, und mit dem einen auch alles: ihm fehlte der eigentliche Inhalt, der allein diese unendlichen und verwickelten Tonmassen zu der inneren, nur ihr eigenen natürlichen Harmonie des Geistes beleben, ihr die pulsierende Seele, den Gotteshauch des Lebens geben konnte. Sebastian konnte nie aus sich selber heraus erzeugen, er bedurfte eines äußeren Anstoßes, er bedurfte der Bibel. Friedemann hingegen ging diese demütige Strenge, diese Unbedingtheit des Glaubens ab, er konnte sich nicht damit begnügen, lediglich Erklärer der Bibel zu sein. Das Ziel seiner Kunst lag in weiten, einsamen Höhen, über denen zwar auch der Geist Gottes schwebte, um deren Schründe und Grate es jedoch von weltlichen Lichtern flackerte ... Wenn bei dem Vater alle Gefühle, namentlich Liebe und Freundschaft, still und sonnig wie ein Maienmorgen alles, Gott, Welt und die Seinen, umschlossen, so hatten sie bei Friedemann eine verzehrende, vulkanische Gewalt, waren tief, eigensinnig und beharrlich. Des Vaters äußeres Auftreten in der Welt war herzgewinnend, ruhig, behaglich und von einer etwas pedantischen Einfachheit. Er glich in etwa einem Prediger, der sich den Menschen nur nähert, um sie an sich heranzuziehen. Sebastian Bach lebte wesentlich nach außen, so still er sonst auch scheinen mochte, -- Friedemann, trotz der weltmännischen Glätte, Galanterie und Grazie der Unterhaltung, fast nur nach innen. Alles, was ihm im Leben begegnete, wurde ihm Stoff der Imagination; es fiel ihm oft schwer, das Sein von der Einbildung, die Wirklichkeit von der Phantasie, die Dichtung von der Wahrheit zu unterscheiden. Noch war er nicht gefeit durch Erfahrung, noch nicht geläutert in der Schule des Elends und der Schmerzen.
    Friedemanns Leben und Stellung in Dresden waren überaus angenehm und glänzend. Getragen von dem Namen seines Vaters, seiner eigenen künstlerischen Genialität, galt er für den höchsten Träger der Kirchenmusik, des ernsten großen Stils, und alle anderen Organisten drängten sich um den aufgehenden Stern, von dem sie verstohlen Strahlen borgten. Der Ruhm seiner Orgelkonzerte, die der Hof, die Oper und alles, was Dresden Glänzendes barg, nie versäumten, drang über Leipzig, wo er wohlgefällig des Vaters Ohr umschmeichelte, weit hinaus nach Deutschland und verkündete, daß Friedemann -- selbst den Vater nicht ausgeschlossen -- der König aller Orgelvirtuosen sei.
    So, im Vollgenusse seines jungen Ruhms, stieß er einst, als er von Holzendorf kam, auf Doles. Er hatte ihn lange Zeit nicht gesehen, -- seit jenem Vorfall nicht mehr, da Doles im Oberbewußtsein seiner Fähigkeiten die Fuge als etwas in der Kirchenmusik vollkommen Unstatthaftes bezeichnet und sich dadurch mit Sebastian entsetzlich entzweit hatte; dieser hatte ihn damals »Er dummer Junge!« genannt und mit einer Ohrfeige zum Teufel gejagt. Seitdem lebte er in Dresden und fristete sein Dasein recht kümmerlich durch Privatstunden. Er sah verhärmt und sehr herabgekommen aus. »Herrgott, Doles! Bruder! Um Himmels willen, wie geht es dir?«
    »Mir? -- Du willst wissen, wie mir's geht und siehst doch, wie ich aussehe?«
    »Und warum, wenn du hier bist und Not leidest, bist du nicht zu mir gekommen?«
    »Himmelwetter! was bildest du dir ein, Herr Oberorganist? Meinst du, nachdem mich dein vornehmer Herr Vater wie einen Halunken behandelte, werde ich beim Sohne betteln?«
    »Doles, Kerl, sei vernünftig! Waren wir nicht immer Freunde? Müssen wir uns denn voneinander wenden, wenn du dich mit meinem Vater entzweit hast? Du kennst mich doch genug und solltest wissen, wie nahe mir's ging, als mein Vater so heftig gegen dich verfuhr.«
    »Du siehst also ein, daß ich mit der Fuge recht habe?«
    »Nein, unrecht hast du! Ich halte dich gewiß für einen achtbaren, tüchtigen Musiker, aber wegen der Fuge bist du ein Esel, und ... Nein, nein! renn' nicht weg, Doles, sei gescheit, ich kann doch für die Geschichte nichts! Laß sie uns endlich vergessen! -- Du bist mein Jugendfreund, dir geht's schlecht -- willst du, daß dir dein alter Friedemann helfen soll?«
    Zögernd stand Doles in seinem schäbigen Kittel vor ihm; er sah Friedemann starr an, eine stille, tiefe Wehmut überkam ihn, und mit dieser Wehmut zog die alte Freundschaft wieder in

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