Friedemann Bach
Wellen zu seinem Herzen.
»Das ist nicht wahr, Siepmann! Das darf nicht wahr sein!« schrie er, und seine Hand griff nach einem Stützpunkt.
Siepmann führte ihn zu einem Sessel: »Es ist wahr, Exzellenz! Sie werden sich selbst überzeugen! -- Gehorsamer Diener!«
Brühl saß im Lehnstuhl. Unentwegt sah er nach der gegenüberliegenden Wand, an der das Bild Antonies hing; er ballte die Hand krampfhaft vor die Stirn, er schluchzte bitterlich.
Kapitel XI
Unter den mannigfachen Freunden und Bekannten Friedemanns, der nun schon an die acht Jahre an der Sophienkirche wirkte, immer noch keine Frau gefunden hatte und weiterhin von der reichlich gebrechlich gewordenen »alten Hanne« betreut wurde, war der Oberprediger Merperger einer der ausgezeichnetsten. Er war ein Mann, der wegen seiner hohen Tugenden und seines weiten und tiefen Wissens in allgemeinem Ansehen stand; er war ein entschiedener Anhänger der Wolffschen Doktrin. Durch seine Stellung war Friedemann in der Familie Merpergers heimisch geworden, und der dort herrschende philosophische Geist, der ihm die schöne Merseburger Studienzeit wieder naherückte, hatte ihn an dieses Haus gefesselt. Was aber den Abendgesellschaften des Predigers noch mehr Anziehungskraft verlieh, war seine Tochter Ulrike, die seit dem Tode der Mutter dem Hauswesen vorstand. Sie war ein liebliches Mädchen, schlank und klein, von nicht allzu üppigen Formen. Still, Fremden gegenüber fast schüchtern, gab sie sich, wenn sie erst ihre natürliche Befangenheit überwunden hatte, in so reizender Sinnigkeit, brachte sie solch seelenvolle, tief innerliche Wärme in das Gespräch, daß sie einen unauslöschlichen Eindruck bei jedem hinterließ, der sie länger kannte. Dabei hatte sie eine nicht zu verachtende musikalische Bildung.
Ulrike trug, seit sie Friedemann zum erstenmal gesehen, eine tiefe, mädchenhaft scheue Liebe zu ihm in ihrem Herzen. Der Einunddreißigjährige aber, der wohl für Frauenschönheit nicht unempfänglich war, ihr seither jedoch nur tändelnd gehuldigt hatte und nie von dem Verlangen angerührt wurde, aus Huldigung ernsthafte Bewerbung werden zu lassen, sah auch sein Verhältnis zur Predigertochter mit keinen anderen Augen an. Um so mehr mußte jede vertraulichere Geste, jedes unbedachte Wort, daß er arglos an sie richtete, eine schmerzliche Wunde in dem kranken Herzen verursachen.
Der alte Merperger sah es zu spät, und da er sein Kind innig liebte und zugleich bemerkte, wie wenig Neigung Friedemann hatte, beschloß er, ein schnelles Ende herbeizuführen. Er besuchte, ernst und bewegt, den jungen Bach: »Störe ich Sie, mein Freund?«
»Nein, Hochwürden, ich stehe ganz zu Dero Diensten.«
»Gut denn! Lassen Sie mich also offen mit Ihnen reden, wie ein älterer mit dem jüngeren, wie ein ehrlicher Mann mit dem anderen es muß. Hören Sie mich ruhig an und sehen Sie als Anlaß zu diesem Gespräch nur mein Pflichtgefühl! Sie sind ein Mensch, dem der liebe Gott alle Erdengaben in reichster Fülle verliehen hat. Sie stammen aus einer Familie, deren Ruhm durch die ganze Welt geht, und Sie sind selbst ein großer Künstler, der die Gnade und Gunst unseres Regenten und aller ausgezeichneten Menschen genießt und verdient. Zu dem allen hat Ihnen der Schöpfer ein liebenswürdiges Äußere und weltmännisch-gewandtes Auftreten geschenkt, Eigenschaften, die Ihnen überall Freunde machen müssen. Ich denke also, daß Sie Ursache haben, dem himmlischen Vater recht dankbar zu sein. Als Ihr Patron und derzeitiger Seelsorger habe ich das Recht, Ihnen zu sagen, daß Sie jedoch verpflichtet sind, diese großen Glücksgaben nicht zu mißbrauchen! Daß Sie sich immer fragen sollten, ob Sie Ihren Mitmenschen mit diesen Vorzügen nicht wehe tun, so wehe, daß dieselben wünschen müssen, Gott hätte Ihnen weniger Liebenswürdigkeit, aber mehr Lebensernst und Seelentiefe gegeben.«
Merpergers Stimme zitterte, Friedemann war sprachlos und erstaunt.
»Ihr Erstaunen, lieber Bach, zeigt mir klar, daß bei Ihnen nicht von einem absichtlichen und ehrlosen Spiel mit Gefühlen und Neigungen die Rede sein kann, -- aber so innig lieb ich Sie habe, muß ich Sie doch bitten, künftig mein Haus zu meiden. Ich bitte darum als Vater! Als wohlmeinender Freund aber sage ich Ihnen: seien Sie haushälterisch mit Ihrer Galanterie, damit man Sie nicht für einen leichtfertigen Menschen hält und Ihnen vielleicht gerade dann mißtraut, wenn die echte Flamme der Liebe Ihrem Munde Worte eingibt,
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