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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mühsam herausgebracht hatte, und plötzlich spürte er, daß er mehr auf der Hut sein mußte als vorher mit Ellie. Er hatte das Gefühl, in einem Minenfeld zu stehen.
    »Wovor hast du Angst? Vorm Sterben?«
    »Nicht davor, daß ich sterbe«, sagte sie. »Daran denke ich selten -- jedenfalls jetzt nicht mehr. Aber als Kind habe ich oft daran gedacht. Es hat mich eine Menge Schlaf gekostet. Ich träumte von Ungeheuern, die erschienen, um mich in meinem Bett zu verschlingen, und alle Ungeheuer sahen aus wie meine Schwester Zelda.«
    Ja, dachte Louis. Jetzt kommt es; nach all den Jahren, die wir verheiratet sind, kommt es endlich heraus.
    »Du sprichst nicht oft von ihr«, sagte er.
    Rachel lächelte und berührte sanft sein Gesicht. »Du bist lieb, Louis. Ich rede nie über sie. Ich versuche, nie an sie zu denken.«
    »Ich habe immer angenommen, daß du Grund dazu hattest.«
    »Den hatte ich. Den habe ich.«
    Sie hielt inne und dachte nach.
    »Ich weiß. Sie starb -- an spinaler Meningitis...«
    »An spinaler Meningitis«, wiederholte sie, und er sah, sie war den Tränen nahe. »Im ganzen Haus gibt es keine Bilder mehr von ihr.«
    »Ich sah das Bild eines jungen Mädchens bei deinem Vater...«
    »In seinem Arbeitszimmer. Ja, das hatte ich vergessen. Und ich glaube, meine Mutter hat noch immer ein Photo von ihr in der Brieftasche. Sie war zwei Jahre älter als ich. Sie wurde krank -- und sie lag im Hinterzimmer -- sie lag im Hinterzimmer wie ein schmutziges Geheimnis, Louis, sie lag dort und starb, Louis, meine Schwester starb im Hinterzimmer, und das war sie, ein schmutziges Geheimnis -- immer ist sie ein schmutziges Geheimnis gewesen!«
    Plötzlich brach Rachel vollständig zusammen, und ihr Schluchzen verriet Louis, daß sie nahe daran war, hysterisch zu werden. Er war bestürzt, streckte den Arm aus und ergriff eine Schulter, die sich ihm entzog, kaum daß er sie berührt hatte. Er spürte das Rascheln ihres Nachthemdes unter seinen Fingerspitzen.
    »Rachel, Baby, nicht doch...«
    »Laß mich«, sagte sie. »Unterbrich mich nicht. Meine Kraft reicht nur, es einmal zu erzählen, und danach will ich nie wieder davon sprechen. Wahrscheinlich werde ich ohnehin diese Nacht nicht schlafen.«
    »War es so grauenhaft?« fragte er, obwohl er die Antwort bereits wußte. Es erklärte so vieles; selbst Dinge, die er früher nie damit in Verbindung gebracht oder nur vage vermutet hatte, fügten sich jetzt plötzlich zusammen. Sie war nie mit ihm zu einer Beerdigung gegangen, erinnerte er sich -- nicht einmal zu der von Al Locke, einem Studienkollegen, der ums Leben gekommen war, als der Wagen, in dem er saß, mit einem Omnibus zusammenstieß. Al war ständiger Gast in ihrer Wohnung gewesen, und Rachel hatte ihn immer gern gemocht. Dennoch war sie nicht zu seiner Beerdigung gegangen.
    An dem Tag war sie krank, erinnerte sich Louis plötzlich. Hatte Grippe oder so etwas. Schien etwas Ernstes zu sein. Aber am nächsten Tag war alles wieder in Ordnung.
    Nach der Beerdigung war alles wieder in Ordnung, korrigierte er sich. Schon damals, fiel ihm ein, hatte er daran gedacht, ihre Krankheit könne psychosomatischer Natur sein.
    »Es war grauenhaft, weiß der Himmel. Schlimmer, als du dir vorstellen kannst. Louis, wir mußten zusehen, wie sie von Tag zu Tag zerfiel, und niemand konnte etwas dagegen tun. Sie hatte ständig Schmerzen. Ihr Körper schien zu schrumpfen -- in sich zusammenzukriechen --, ihre Schultern krümmten sich nach oben, und ihr Gesicht verzog sich nach unten, bis es aussah wie eine Maske. Ihre Hände waren wie Vogelkrallen. Ich mußte sie manchmal füttern. Es war widerlich, aber ich tat es, ohne mich aufzulehnen. Als die Schmerzen schlimm genug waren, gaben sie ihr Drogen -- erst leichte und dann solche, die sie süchtig gemacht hätten, wenn sie am Leben geblieben wäre. Aber natürlich wußten alle, daß sie nicht am Leben bleiben würde. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb sie so ein -- ein Geheimnis für uns alle ist. Weil wir wollten, daß sie stirbt, Louis, wir wünschten uns, daß sie stürbe, nicht, damit sie von ihren Qualen erlöst würde, sondern damit wir von unseren Qualen erlöst würden, weil sie immer mehr wie ein Ungeheuer aussah und dann auch zu einem Ungeheuer wurde -- oh Gott, ich weiß, wie entsetzlich das klingt...«
    Sie schlug die Hände vors Gesicht.
    Louis berührte sie sanft. »Rachel, das klingt ganz und gar nicht entsetzlich.«
    »Doch!« weinte sie. »Doch, das tut es!«
    »Es klingt

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