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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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stand er in dieser bescheidenen Vorstadt der Toten und sah sich um.
    Ein feiner, abgeschiedner Platz, dachte er, doch hier küßt keiner seinen Schatz.  Von wem war das? Von Andrew Marvel? Warum speicherte das menschliche Gedächtnis überhaupt einen solchen Haufen wertlosen Gerümpels?
    Dann hörte er in Gedanken Juds Stimme, besorgt und -- voll Angst? Ja. Voll Angst.
    Louis, was tun Sie hier? Sie erkunden einen Weg, den Sie nicht gehen dürfen!
    Er unterdrückte die Stimme. Wenn er irgend jemandem Qualen bereitete, dann nur sich selbst. Niemand brauchte zu wissen, daß er hier gewesen war, während das Tageslicht sich in Dunkelheit verwandelte.
    Er wanderte über einen der gewundenen Pfade auf Gages Grab zu. Kurze Zeit später befand er sich auf einer baumbestandenen Allee; die jungen Blätter rauschten geheimnisvoll über seinem Kopf. Das Herz in seiner Brust hämmerte zu laut. Er sah Reihen von Gräbern und Monumenten. Irgendwo mußte das Haus des Friedhofswärters stehen, und dort würde ein Plan der rund zwanzig Morgen Friedhofsgelände hängen, säuberlich in Abschnitte unterteilt, und in jeden Abschnitt eingetragen, welche Grabstellen belegt und welche noch zu haben waren. Immobilien zu verkaufen. Einzimmer-Apartments. Schlafstellen.
    Nicht viel Ähnlichkeit mit dem Tierfriedhof, dachte er -- ein Gedanke, der ihn veranlaßte, einen Augenblick überrascht stehenzubleiben. Nein, tatsächlich nicht. Der Tierfriedhof hatte ihm den Eindruck einer Ordnung vermittelt, die sich fast unbemerkbar aus dem Chaos entwickelt. Diese ungefähr konzentrischen Kreise, die zur Mitte hinführten. Grob behauene Schiefertafeln, aus Brettern angefertigte Kreuze. Als hätten die Kinder, die ihre Tiere dort begruben, aus ihrem eigenen kollektiven Unterbewußtsein diese Anordnung getroffen, als hätte...
    Einen Augenblick lang sah Louis im Tierfriedhof eine Art Anzeige -- eine Einladung, näherzutreten, von der Art, wie sie vor einer Monstrositätenbude auf dem Jahrmarkt stattfindet. Da trat der Feuerschlucker auf, und man brauchte dafür nicht zu bezahlen -- die Besitzer wußten, daß man das Steak erst kaufen würde, wenn man es brutzeln hörte, daß man nicht mit dem Geld herausrückte, bevor man eine Kostprobe erhalten hatte...
    Diese Gräber -- diese Gräber in druidischen Kreisen.
    Die Gräber auf dem Tierfriedhof griffen das älteste der religiösen Symbole auf: kleiner werdende Kreise als Zeichen für eine Spirale, die abwärts führt -- nicht auf einen Punkt zu, sondern in die Unendlichkeit; Ordnung aus dem Chaos oder Chaos aus der Ordnung, je nachdem, welche Richtung die Gedanken einschlugen.
    Es war ein Symbol, das die Ägypter in die Särge der Pharaonen geschnitzt, die Phönizier auf die Bahren ihrer gefallenen Könige gemalt hatten; es fand sich auf Höhlenwänden im alten Mykene; die Erbauer von Stonehenge schufen in ihm eine Uhr, die dem Universum Zeit verlieh; in der Bibel der Juden und Christen erschien es als Wirbelsturm, aus dem Gott zu Hiob sprach.
    Die Spirale war das älteste machtvolle Zeichen der Welt, das älteste Symbol des Menschen für die gewundene Brücke zwischen der Welt und dem Abgrund.
    Endlich stand Louis vor Gages Grab. Der Bagger war verschwunden. Der künstliche Rasen war fort, von einem pfeifenden Arbeiter, der in Gedanken bei seinem Feierabendbier war, zusammengerollt und in irgendeinem Schuppen verstaut. Wo Gage lag, war ein säuberliches Rechteck aus kahler, geharkter Erde, anderthalb Meter lang, einen Meter breit.
    Louis kniete nieder. Der Wind fuhr durch sein Haar und ließ es flattern. Der Himmel war jetzt fast völlig dunkel. Wolken jagten über ihn hinweg.
    Niemand hat mir mit seiner Lampe ins Gesicht geleuchtet und mich gefragt, was ich hier zu suchen habe. Kein Wachhund hat angeschlagen. Das Tor war nicht verschlossen. Die Tage der Auferstehungsmänner sind vorüber. Wenn ich also käme, mit einer Hacke und einer Schaufel...
    Mit einem Ruck fand er zu sich selbst zurück. Wenn er davon ausging, daß Pleasantview nachts nicht bewacht wurde, spielte er nur ein gefährliches Denkspiel mit sich selbst. Was war, wenn er vom Friedhofswärter oder einem Wachmann ertappt wurde, wie er bauchtief im frischen Grab seines Sohnes stand? Vielleicht kam es nicht in die Zeitung, vielleicht doch. Er konnte eines Verbrechens angeklagt werden. Welchen Verbrechens? Leichenraub? Unwahrscheinlich. Dann wohl böswilliger Unfug oder Vandalismus. Und ob es in die Zeitung kam oder nicht, dergleichen sprach

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