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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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es brächte ihnen Glück in der Liebe; daß bei Begräbnissen in Irland gelegentlich Scheinehen geschlossen wurden und daß man den Toten die Zehen zusammenband, um nach einem alten keltischen Glauben zu verhindern, daß ihr Geist umging. Onkel Carl sagte, der Brauch, Anhänger mit den Buchstaben T. E. (tot eingeliefert) an die großen Zehen von Leichnamen zu binden, wäre in New York entstanden, und da früher die Wärter im Leichenschauhaus sämtlich Iren waren, glaubte er, daß darin der alte Aberglaube fortlebte. Dann hatte Louis ihre Gesichter gesehen und war zu dem Schluß gekommen, daß solche Geschichten falsch aufgefaßt werden konnten.
    Rachel war nur einmal zusammengebrochen, und ihre Mutter war da, um sie zu trösten. Rachel klammerte sich an Dory Goldman und schluchzte so ungehemmt, wie sie es bei Louis nicht gekonnt hätte, sei es, daß sie das Gefühl hatte, sie wären beide an Gages Tod mitschuldig, oder weil Louis, befangen in der seltsamen Halbwelt seiner Traumgespinste, sie nicht ermutigt hatte, ihrem Schmerz Ausdruck zu geben. Jedenfalls suchte sie Trost bei ihrer Mutter, und Dory war bereit, ihre Tränen mit der ihrer Tochter fließen zu lassen. Irwin Goldman stand hinter ihnen, die Hand auf Rachels Schulter, und blickte mit einem schwächlichen Siegerlächeln quer durch den Raum zu Louis hinüber.
    Ellie machte mit einem mit Kanapees beladenen Silbertablett die Runde; in jedem Schnittchen steckte ein gefiederter Zahnstocher. Das Photo von Gage hatte sie unter den Arm geklemmt.
    Louis empfing Beileidsbezeugungen. Er nickte und dankte den Kondolierenden. Und wenn sein Blick ein wenig abwesend schien, sein Verhalten ein wenig kühl, dann glaubten die Leute, er dächte an die Vergangenheit, an den Unfall, an das Leben ohne Gage, das vor ihm lag; niemand (vielleicht nicht einmal Jud) hätte geargwöhnt, daß Louis begonnen hatte, über die Strategie des Grabraubs nachzudenken -- rein akademisch natürlich; nur um seine Gedanken zu beschäftigen.
    Nicht, daß er vorgehabt hätte, etwas dergleichen zu tun.
     
     
    Louis machte am Orrington Corner Store halt, kaufte zwei Sechserpackungen kaltes Bier und rief bei Napoli an, um eine Pizza mit Paprika und Pilzen zu bestellen.
    »Welchen Namen sollen wir notieren, Sir?«
    Der Große und Schreckliche Oz, dachte Louis.
    »Lou Creed.«
    »Okay, Lou, hier ist im Augenblick viel los, es kann eine Dreiviertelstunde dauern -- ist das in Ordnung?«
    »Natürlich«, sagte Louis und legte den Hörer auf. Erst als er wieder in den Honda stieg und den Motor anließ, fiel ihm auf, daß er von den rund zwanzig Pizzakneipen in Bangor und Umgebung diejenige ausgesucht hatte, die Pleasantview am nächsten lag -- dem Friedhof, auf dem Gage begraben war. Na und? dachte er mit einem unguten Gefühl. Ihre Pizza ist gut. Kein tiefgekühlter Teig. Sie werfen ihn hoch und fangen ihn mit der Faust wieder auf, man konnte ihnen dabei zusehen. Und Gage hat immer darüber gelacht...
    Er verdrängte den Gedanken.
     
     
    Er fuhr am Napoli vorbei nach Pleasantview. Wahrscheinlich hatte er gewußt, daß er das tun würde. Aber was schadete es schon? Nichts.
    Er parkte an der gegenüberliegenden Straßenseite und ging auf das schmiedeeiserne Tor zu, das im schwindenden Tageslicht schimmerte. Über ihm bildeten die schmiedeeisernen Buchstaben PLEASANTVIEW einen Halbkreis. Der Friedhof war hübsch angelegt und streckte sich über mehrere sanfte Hügel; es gab lange, baumbestandene Alleen (aber die Schatten, die diese Bäume warfen, wirkten in diesen letzten paar Minuten des Tageslichts so unheimlich schwarz und unergründlich wie Wasser in einem Steinbruch) und ein paar vereinzelte Trauerweiden. Es war nicht still. Die Schnellstraße war nicht weit entfernt -- der kalte, stetige Wind wehte die Motorengeräusche herüber --, und das Leuchten am dunkler werdenden Himmel kam vom Bangor International Airport.
    Er griff nach dem Tor. Es ist bestimmt verschlossen, dachte er, aber das war es nicht. Vielleicht war es noch zu früh. Und wenn es überhaupt verschlossen wurde, dann doch nur, um den Friedhof vor Betrunkenen, Grabschändern und Liebespärchen zu schützen. Die Tage der Dickens'schen Auferstehungsmänner
    (wieder das Wort)
    sind vorüber. Der rechte Torflügel schwang leise knarrend nach innen, und nachdem sich Louis mit einem Blick über die Schulter vergewissert hatte, daß er nicht beobachtet wurde, ging er hindurch. Er schloß das Tor hinter sich und hörte den Riegel klicken.
    Dann

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