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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schütteln.
    »Caaaaa...«
    Der junge Mann in der roten Turnhose begann am ganzen Körper zu zittern. Plötzlich schien er zu erstarren, alle Muskeln gespannt. Für einen Augenblick verloren seine Augen den leeren Ausdruck, sie schienen Louis' Blick zu finden. Louis glaubte, er würde, er müsse noch einmal sprechen. Dann nahmen die Augen wieder ihren leeren Ausdruck an -- und begannen zu brechen. Der Junge war tot.
    Louis setzte sich; er spürte verschwommen, daß ihm die Kleider am Leibe klebten. Er war schweißgebadet. Dunkelheit breitete sich aus, legte einen weichen Schleier über seine Augen, und die Welt begann, auf übelkeiterregende Weise zu schwingen. Als er begriff, was geschah, wandte er sich von dem Toten ab, beugte den Kopf zwischen die Knie und drückte die Nägel von Daumen und Zeigefinger der linken Hand so heftig ins Zahnfleisch, daß es blutete.
    Einen Augenblick später wurde die Welt wieder klar.

13
    Dann füllte sich der Raum mit Menschen, als wären sie alle nur Schauspieler, die auf ihr Stichwort gewartet hatten -- ein Umstand, der Louis das Gefühl der Wirklichkeitsferne und Desorientiertheit nur umso stärker empfinden ließ. Die Intensität dieses Gefühls, mit dem er sich zwar in Psychologievorlesungen beschäftigt, das er aber nie selbst erfahren hatte, ängstigte ihn zutiefet. So, vermutete er, war einem Menschen zumute, nachdem ihm jemand eine große Dosis LSD in den Drink geschüttet hatte.
    Wie ein Theaterstück, das nur für mich aufgeführt wird, dachte Louis. Alle verlassen die Bühne, damit die sterbende Sibylle mir noch ein paar dunkle Prophezeiungen zuraunen kann; und sobald sie tot ist, kehren alle zurück.
    Die Hilfsschwestern kamen hereingestolpert, zwischen sich die harte Trage, die bei Leuten mit Rückgrat- oder Genickverletzungen verwendet wurde. Joan Charlton folgte ihnen und sagte, die Campus-Polizei wäre unterwegs. Der junge Mann war beim Lauftraining von einem Auto angefahren worden. Louis dachte an die Jogger, die ihm am Morgen fast ins Auto gelaufen wären, und seine Eingeweide gerieten ins Schlingern.
    Nach Joan Charlton kam Steve Masterton mit zwei Campus-Polizisten. »Louis, die Leute, die Pascow gebracht haben, sind...« Er brach ab und fragte bestürzt: »Louis, fehlt Ihnen etwas?«
    »Nein, alles in Ordnung«, sagte er und stand auf. Eine Woge von Benommenheit spülte über ihn hinweg und ebbte dann ab. Er versuchte, in die Wirklichkeit zurückzufinden. »Pascow heißt er?«
    Einer der Polizisten sagte: »Victor Pascow, nach Aussage des Mädchens, mit dem er trainierte.«
    Louis sah auf seine Uhr und zog zwei Minuten ab. Aus dem Raum, in den Masterton die Leute geführt hatte, die Pascow hereingebracht hatten, hörte er ein Mädchen heftig schluchzen. Willkommen an der Universität, junge Dame, dachte er. Alles Gute fürs neue Semester. »Mr. Pascow ist um 10.09 Uhr gestorben«, sagte er.
    Einer der Polizisten wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    Masterton fragte abermals: »Louis, fehlt Ihnen wirklich nichts? Sie sehen entsetzlich aus.«
    Louis öffnete den Mund, um zu antworten, und eine der Hilfsschwestern ließ unvermittelt ihr Ende der harten Trage fallen, rannte hinaus und erbrach sich auf ihre Schürze. Ein Telefon begann zu läuten. Das Mädchen, das geschluchzt hatte, begann jetzt, den Namen des Toten -- »Vic! Vic! Vic!« -- immer und immer wieder zu kreischen. Ein Tollhaus. Totales Chaos. Einer der Polizisten fragte Joan Charlton, ob sie ein Laken haben könnten, um ihn zuzudecken; Joan sagte, sie wüßte nicht, ob sie berechtigt wäre, eines herauszugeben, und Louis drängte sich eine Zeile von Maurice Sendak auf: ›Jetzt geht der wilde Trubel los.‹
    Das widerliche Kichern stieg wieder in seiner Kehle auf; irgendwie gelang es ihm, es zu unterdrücken. Hatte dieser Pascow wirklich das Wort »Tierfriedhof« ausgesprochen? Hatte dieser Pascow wirklich seinen Namen genannt? Das waren die Dinge, die ihn außer Fassung brachten, die Dinge, die ihn aus der Bahn warfen. Doch schon jetzt schien es, als hüllte sein Verstand diese wenigen Augenblicke in einen schützenden Film -- umbildend, verändernd, loslösend. Sicher hatte er etwas anderes gesagt (wenn er überhaupt etwas gesagt hatte), und im Schock des Augenblicks hatte Louis ihn falsch verstanden. Aller Wahrscheinlichkeit und seiner eigenen ersten Vermutung nach hatte Pascow nur irgendwelche Laute von sich gegeben.
    Louis versuchte, zu sich selbst zurückzufinden, zu jenem Teil

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