Friedhof der Kuscheltiere
seufzte.
Zum ersten Mal wurde ihm klar, daß er Church geliebt hatte -- vielleicht nicht so inbrünstig wie Ellie, aber auf seine eigene, abwesende Art. In den Wochen nach seiner Kastrierung hatte Church sich verändert, er war fett und träge geworden und hatte eine Routine entwickelt, die sich zwischen Ellies Bett, der Couch und seinem Futternapf abspielte, aber nur selten außerhalb des Hauses. Jetzt, im Tod, schien er wieder dem alten Church zu gleichen. Das Maul, so klein und blutig mit den nadelscharfen Zähnen, sah aus wie bei aggressivem Fauchen erstarrt. Die toten Augen blickten wütend. Es war, als hätte Church nach der kurzen, ereignislosen Öde seines Lebens als Neutrum im Tod seine wahre Natur wieder gefunden.
»Ja, es ist Church«, sagte er. »Wenn ich nur wüßte, wie ich es Ellie beibringen soll.«
Plötzlich kam ihm eine Idee. Er würde Church oben auf dem Tierfriedhof begraben, ohne Gedenktafel oder anderen Unsinn. Heute abend am Telefon würde er Church Ellie gegenüber nicht erwähnen; morgen würde er beiläufig einfließen lassen, daß er Church nicht gesehen hätte; übermorgen würde er die Vermutung äußern, daß Church davongelaufen war. Das taten Kater gelegentlich. Natürlich würde es Ellie hart treffen, aber die Endgültigkeit würde vermieden. Rachel würde sich nicht wieder hysterisch weigern, dem Tod ins Auge zu sehen -- es würde einfach verblassen...
Feigling, verwies ihn ein Teil seines Verstandes.
Ja -- zweifellos. Aber wem wäre mit der ganzen Aufregung gedient?
»Sie hängt sehr an diesem Tier, nicht wahr?« fragte Jud.
»Ja«, sagte Louis abwesend. Er bewegte Churchs Kopf noch einmal. Der Körper wurde schon steif, aber der Kopf ließ sich viel leichter bewegen, als es eigentlich der Fall sein durfte. Gebrochenes Genick. Ja. Und danach glaubte er rekonstruieren zu können, was passiert war. Church hatte die Straße überquert -- aus welchem Grund, wußte niemand außer Gott --, war von einem Wagen oder einem Laster erfaßt worden, der ihm das Genick brach und ihn auf Jud Crandalls Rasen schleuderte. Vielleicht war sein Genick auch erst gebrochen, als er auf den hartgefrorenen Boden aufschlug. Das spielte keine Rolle. Das Ergebnis war in beiden Fällen das gleiche. Church war tot.
Im Begriff, Jud zu sagen, zu welchen Schlußfolgerungen er gelangt war, sah er auf, aber Juds Blick war auf den verblassenden orangefarbenen Lichtstreifen am Horizont gerichtet. Seine Kapuze war zurückgeglitten, und sein Gesicht wirkte nachdenklich und streng -- fast hart.
Louis zog den grünen Müllbeutel aus der Tasche und entfaltete ihn, wobei er ihn dicht an sich hielt, damit der Wind ihn nicht wegriß. Das leichte Knattern, das der Beutel dabei machte, schien Jud ins Hier und Jetzt zurückzurufen.
»Ja, ich glaube, sie hängt sehr an diesem Tier«, sagte Jud. Daß er im Präsens von ihr sprach, hatte etwas leicht Gespenstisches an sich -- die ganze Szenerie im schwindenden Licht, in Kälte und Wind kam ihm irgendwie gespenstisch und schaurig vor.
Hier steht Heathcliff im trostlosen Moor, dachte Louis und verzog das Gesicht gegen die Kälte. Er schickt sich an, den Familienkater in einen Müllbeutel zu stecken.
Er faßte Church am Schwanz, hielt den Müllbeutel auf und hob den Kater hoch. Bei dem Geräusch, das der Körper des Tieres dabei machte, als er es vom Boden löste, an dem es angefroren war, verzog sich sein Gesicht zu einem Ausdruck des Abscheus und der Trauer. Church kam ihm unglaublich schwer vor, als hätte der Tod in Form eines physischen Gewichts von ihm Besitz ergriffen. Weiß Gott, er fühlt sich an wie ein Eimer voll Sand. Jud hielt den Beutel von der anderen Seite auf, und Louis ließ Church hineingleiten, froh, das seltsame, beunruhigende Gewicht los zu sein.
»Was werden Sie jetzt mit ihm machen?« fragte Jud.
»Ich werde ihn wohl in die Garage bringen«, sagte Louis. »Und ihn dann morgen früh begraben.«
»Auf dem Tierfriedhof?«
Louis zuckte die Achseln.»Vermutlich.«
»Wollen Sie es Ellie sagen?«
»Ich -- ich muß mir das noch eine Weile überlegen.«
Jud schwieg ein paar Sekunden, dann schien er zu einem Entschluß gelangt zu sein. »Warten Sie hier ein paar Minuten, Louis.«
Jud ging davon, anscheinend ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, daß Louis womöglich keine Lust hatte, an diesem bitterkalten Abend ein paar Minuten zu warten. Er ging davon mit jener Sicherheit und Geschmeidigkeit, die für einen Mann seines Alters so ungewöhnlich
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