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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht. Gelegentlich bin ich etwas wirr im Kopf. Wahrscheinlich werde ich senil.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    »Dieser Ort hat Macht, Louis. Nicht so sehr hier -- aber da, wo wir hingehen.«
    »Jud...«
    »Kommen Sie«, sagte Jud, wieder auf den Beinen. Der Lichtstrahl der Taschenlampe fiel auf das Totholz. Jud ging darauf zu. Plötzlich erinnerte sich Louis an sein Schlafwandeln. Was hatte Pascow in dem Traum gesagt?
    Steigen Sie nicht darüber hinweg, Doktor, so sehr Sie auch glauben, es tun zu müssen. Die Schranke wurde nicht errichtet, damit man sie durchbricht.
    Doch an diesem Abend schien der Traum, die Warnung oder was immer es gewesen sein mochte, nicht Monate, sondern Jahre zurückzuliegen. Louis fühlte sich wohl, lebendig und wie verzaubert, bereit, es mit allem und jedem aufzunehmen, und dennoch voller Staunen. Ihm kam der Gedanke, daß auch dies viel von einem Traum an sich hatte.
    Dann wandte sich Jud zu ihm um, die Kapuze schien eine Leere zu umhüllen, und einen Augenblick lang bildete Louis sich ein, daß es Pascow war, der jetzt vor ihm stand, daß das helle Licht sich umkehren und einen grinsenden, geschwätzigen, pelzgesäumten Schädel beleuchten würde; und seine Angst kehrte wie ein Schwall kalten Wassers zurück.
    »Jud«, sagte er, »darüber können wir nicht hinwegklettern. Wir würden uns beide ein Bein brechen und dann wahrscheinlich bei dem Versuch, nach Hause zurückzukehren, erfrieren.«
    »Sie brauchen mir nur zu folgen«, sagte Jud. »Folgen Sie mir und blicken Sie nicht nach unten. Zögern Sie nicht, und blicken Sie nicht nach unten. Ich kenne den Weg, aber man muß ihn schnell und ohne Zaudern gehen.«
    Louis begann zu denken, daß dies vielleicht ein Traum war; vielleicht war er noch gar nicht aus seinem Nachmittagsschlaf erwacht. Wenn ich wach wäre, dachte er, würde ich ebensowenig auf dieses Totholz hinaufsteigen wie betrunken Fallschirmkunststücke vollführen. Aber ich tue es trotzdem. Ich glaube, ich tue es. Demnach träume ich. Anders kann es nicht sein.
    Jud wandte sich ein wenig nach links, fort von der Mitte des Totholzes. Der Lichtstrahl fiel auf den wirren Haufen von (Knochen) umgestürzten Bäumen und alten Stämmen. Der Lichtkreis wurde kleiner und heller, je näher sie kamen. Ohne das geringste Zögern, ohne sich auch nur mit einem flüchtigen Blick zu vergewissern, daß er sich an der richtigen Stelle befand, begann Jud hinaufzusteigen. Er kroch nicht auf allen vieren, er beugte sich nicht vornüber wie jemand, der sich einen steinigen Hügel oder einen sandigen Abhang hinaufmüht. Er ging einfach hinauf wie auf einer Treppe. Er bewegte sich wie ein Mann, der genau weiß, wohin der nächste Schritt ihn führen wird.
    Louis folgte ihm auf die gleiche Weise.
    Er blickte nicht nach unten, suchte nicht nach festem Grund. Ihn überkam die eigenartige, aber absolute Gewißheit, daß ihm das Totholz nichts anhaben konnte, solange er es nicht zuließ. Natürlich war das heller Wahnsinn, nur mit der blinden Zuversicht eines Mannes zu vergleichen, der betrunken am Steuer seines Wagens sitzt und sich einbildet, ihm könne nichts passieren, solange er seine Christophorus-Medaille bei sich hat.
    Aber es funktionierte.
    Kein alter Ast brach mit pistolenschußartigem Knacken unter ihm weg, er stürzte nicht in ein Loch mit vorstehenden, wettergebleichten Splittern, die alle bereit waren, ihn zu durchbohren und zu zerfleischen. Seine Schuhe (HushPuppy-Slipper -- kaum das zum Überklettern eines Windbruchs geeignete Schuhwerk) glitten nicht auf dem alten, trockenen Moos aus, das viele der umgestürzten Stämme überzog. Er fiel weder vorwärts noch rückwärts. Der Wind heulte heftig durch die Tannen ringsum.
    Einen Augenblick sah er, daß Jud auf dem Scheitel des Totholzes stehenblieb; dann begann er mit dem Abstieg an der anderen Seite -- zuerst entschwanden die Waden seinem Blick, dann die Oberschenkel, die Hüften, die Taille. Das Licht tanzte auf den windgepeitschten Ästen der Bäume jenseits der -- der Schranke. Ja, genau das war es. Warum so tun, als wäre es etwas anderes? Eine Schranke.
    Louis erreichte selbst den Scheitel und hielt einen Augenblick inne, den rechten Fuß auf einem umgestürzten, im Winkel von fünfunddreißig Grad geneigten Baumstamm, den linken auf etwas Elastischerem -- einem Gewirr verwitterter Tannenzweige? Er blickte nicht nach unten, um es festzustellen, sondern nahm nur den schweren Müllbeutel mit dem toten Church in die linke Hand

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