Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
geschlossen. Ich kann den Fledermäusen nicht bis in alle Ewigkeit Bach vorspielen.«
»Das ist doch ohnehin alles leeres Geschwätz«, sagt die Frau und greift wieder nach ihrem Messer. »Bestimmt seid ihr auf dem Weg hierher bei Djeco eingekehrt.«
»Wenn ich es nicht machte«, sagt Jean-Baptiste, »würde man jemand anders schicken. Obwohl ich Ihnen nicht verdenken kann, dass Sie das … übelnehmen.«
»Wer spricht denn von übelnehmen?« fragt Armand und streckt sich nach der Flasche. »Man nimmt doch die Zukunft nicht übel. Sowenig wie ihre Repräsentanten.« Er füllt ihre Gläser. »Kommen Sie, wir wollen auf jenes schattenhafte Land trinken, zu dem wir uns alle hinbewegen, einige auf ihren Beinen, andere laut jammernd auf dem Rücken.«
Das kleine Mädchen lacht. Gleich darauf stimmt der Junge ein. Lisa ignoriert sie.
Sie essen. Das Essen ist in der Tat das beste, das Jean-Baptiste seit seiner Ankunft in der Stadt gekostet hat, obwohl er es noch mehr genießen würde, wenn er irgendeine Möglichkeit fände, die Frau für sich einzunehmen, die ihm sein Huhn serviert, als würde sie ihn lieber mit dem Spieß zur Tür hinausjagen. Das Thema Friedhof kommt nicht wieder zur Sprache. Armand ist nachdenklich, etwas distanziert, etwas zerstreut, aber guter Stimmung.
Als sie mit Essen fertig sind, bringt Armand den Kindern ein Lied bei, das sie ihm mit lieblicher Stimme nachsingen. Er fordert Jean-Baptiste auf, ihnen auch etwas beizubringen, ein bisschen Rechnen vielleicht, und eine halbe Stunde lang versucht er es. Sie hören zu; sie verstehen nichts. Auf ein Stück Schiefer zeichnet er geometrische Figuren, Dreiecke in Kreisen, Kreise in Quadraten. Sie werden sofort bewundert. Die Kinder stehen zu beiden Seiten von ihm, gespannt darauf, welch neues Kunststück unter seinen Fingern enstehen wird. Das Mädchen hat die Hand bequem auf seine Schulter gelegt.
Der Zauber wird vom Tappen eines kleines Gegenstandes gebrochen, der von außen gegen das Fenster geworfen wird. Lisa – die gegenüber dem Gast langsam aufgetaut ist – steht mit einem leisen Laut des Missfallens auf. Sie nimmt eine der Kerzen und verlässt mit den Kindern die Küche. Armand geht durch die andere Tür hinaus und kehrt kurz darauf mit drei Männern zurück. Sie sehen aus wie Studenten, obwohl sie dafür viel zu alt sind. Einer hat sich eine zerfledderte Rose aus Seide an sein Revers geheftet, der nächste hat seinen mageren Hals in einen Kragen aus rötlichbraunem Pelz gehüllt, während der dritte eine Brille mit Drahtgestell auf einer Nase wie aus einer Komödie trägt.
»Messieurs Fleur, Renard und de Bergerac«, sagt Armand. Die Männer verbeugen sich mit ironischer Förmlichkeit. »Ich bin jetzt Monsieur Orgue und Sie … mal sehen. Sie sind … hmm. Monsieur Triangle? Monsieur Normand? Oder Bêche? Ja. Bêche ist besser. Sie werden nach einem der Spaten benannt, mit denen Sie die Toten ausgraben werden.«
»Wie ich sehe, haben Sie ihn zu Charvet geschickt«, sagt Monsieur Fleur.
»Natürlich«, sagt Armand und erwidert das Grinsen des anderen.
Ihrem Gespräch zu folgen ist nicht leicht. Es scheint aus Klatsch über Männer und Frauen zu bestehen, die ebenfalls Namen wie Figuren einer Farce besitzen. Als der Wein getrunken ist, findet sich etwas Stärkeres. Niemand scheint recht zu wissen, worum es sich handelt. Es schmeckt leicht nach Mandeln und brennt angenehm in der Brust. Heiterkeit kommt auf. De Bergerac betupft sich die Nase; Renard stochert mit dem Finger in einem Loch in seiner Schuhsohle, behutsam, als sondierte er ein Loch in seinem Fuß.
Ist Lisa Saget mit den Kindern zu Bett gegangen? Jean-Baptiste hat auf sie gewartet, in der Hoffnung, sich dann vielleicht verabschieden und zu seinem Quartier zurückfinden zu können. Es ist durchaus angenehm, mit dem Geschmack von Hühnerfett auf den Lippen am Kamin zu sitzen und Alkohol zu trinken, aber er hat getan, was er sich vorgenommen hat, und morgen muss er seine Reise nach Valenciennes antreten. Er will nicht mit einem Brummschädel fahren.
Armand ertappt ihn dabei, wie er sich zur Tür umblickt, und legt ihm eine Hand auf den Arm. »Glauben Sie ja nicht, Sie können uns entkommen, Monsieur Bêche. Wir sind noch nicht fertig.«
Sie trinken die letzten Tropfen Alkohol, verstummen und starren in die Glut des Feuers. Im Zimmer wird es kälter. Nichts tut sich. Ist es schon Mitternacht? Oder noch später? Dann, ohne Vorwarnung, steht Armand auf. Er geht hinaus, kommt aber
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