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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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jemand hat sie mitgenommen. Der Mann, den sie geheiratet hat.«
    »Woher weißt du das?«, fragte er, misstrauisch.
    Er wollte nicht, dass es wahr war. Er wollte, er merkte es voll Erstaunen, dass Lotte im Schnee geblieben und dass Carla Berg eine andere Person gewesen war. Er wollte die Ordnung in seinem Kopf erhalten. Und er wollte nicht, dass Lotte das getan hatte – ihn zurückgelassen. Es war nicht fair.
    »Woher ich das weiß …« Annelies Stimme verlor sich in Gedanken. »Sie hat es mir erzählt«, sagte sie dann plötzlich. »Sie brauchte jemanden, einen Menschen, mit dem sie sprechen konnte. Ich war dieser Mensch.«
    »Aber … warum hast du mir nicht erzählt, wer sie war?«
    »Weil sie mich gebeten hat, es nicht zu tun. Sie wollte es selbst tun, später. Sie wollte dich erst kennenlernen, sagte sie, sie wollte herausfinden, wer du bist.«
    »Schade«, murmelte Lenz bitter, »dass ihr das nicht gelungen ist. Dann hätte sie es mir sagen können.«
    »Was auch immer in der Lücke deiner Erinnerung geschehen ist … wir haben dieselbe Person zweimal auf demselben Friedhof begraben.« Annelie lachte leise, und Lenz sprang auf.
    »Hör auf damit!«, sagte er. »Hör auf, zu lachen. Es ist nicht lustig. Und es stimmt auch nicht. Du denkst dir das alles aus.«
    »Ich fürchte, nein.« Sie strich durch ihr weißes Haar, und er sah, dass sich das Licht wieder darin verfangen hatte. Das Licht war zurückgekehrt, der Himmel draußen war glasblau.
    »Lassen wir die Töpfe hier drinnen stehen?«, fragte er.
    Sie nickte. »Fürs Erste …«
    »Kommst du zurecht? Allein?«
    »Fürs Erste.«
    Er sah den Bluterguss unter ihrem Auge an, der sich dunkel zu verfärben begann.
    »Dann«, sagte er, öffnete die Verandatür und trat hinaus, auf das Trümmerfeld. Die Luft war reingefegt vom Sturm. Als wollte jemand sagen: Dies ist kein Ende. Dies ist ein Anfang.
    Alles ist zerstört, es kann jetzt neu beginnen.
    Aber das stimmte nicht. Noch war kein Neubeginn möglich; noch war nicht alles zerstört. Lenz Fuhrmann stand auf der Wiese vor einem blauen Haus und lebte. Wenn es neu beginnen würde, dachte er, dann ohne ihn. Das absolute Ende und der absolute Anfang brauchten noch ein wenig Zeit.
    »Tut mir leid«, sagte Werter. »Der Strom ist immer noch weg. Muss irgendwo ein Baum auf die Hauptleitung gefallen sein. Wir hatten lange keinen solchen Sturm mehr.« Er schloss die Tür der Werkstatt ab. Kaminski war nirgendwo zu sehen. »Kommen Sie. Zeigen Sie mir, was Sie gefunden haben.«
    Er schien das Wort »Leiche« nicht aussprechen zu wollen.
    Siri war ihm dankbar, dass er mitging, sie hätte es nicht über sich gebracht, die Kellerwohnung noch einmal allein zu betreten.
    »Er ist für mich gestorben«, sagte sie, während sie an den zerknickten Hecken und den verwüsteten Vorgärten vorübergingen. »Ich meine: an meiner Stelle. Ich hätte die tote Person auf dem Bett sein sollen. Bestimmt.«
    »Warum hat er Sie besucht? Nachts?«
    »Er wollte mir etwas geben. Etwas, das Aljoscha mir schon geben wollte. als er es gefunden hatte. Er wollte allein mit mir sprechen, hat er gesagt …« Sie sah Werter an. »Sie glauben mir nicht. Sie glauben, ich hatte etwas mit … dem Direktor?«
    Werter lächelte und schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Nein, das glaube ich nicht. Aber wenn die Polizei ins Dorf kommt, werden die eine Menge Fragen stellen.«
    »Ich wünschte, ich müsste sie nicht rufen«, sagte Siri leise. »Ich wünschte … ich wünschte, alles wäre anders! Ich wünschte, er wäre nie gekommen, um mit mir zu sprechen, oder ich wäre nie spazieren gegangen und zu spät zurückgekommen, oder …«
    Sie ging voraus, die wenigen Stufen hinab, und schloss die Tür zur hartwigschen Kellerwohnung auf. Frau Hartwig stand ganz hinten im Garten zwischen ihren zerstörten Bäumen und beobachtete Siri und Werter.
    »Gehen Sie voraus«, bat Siri.
    Werter betrat die schattige Einraumwohnung zögernd, tat drei Schritte hinein und blieb stehen. Dann drehte er sich zu Siri um.
    »Da ist niemand«, sagte er. »Auf dem Bett.«
    »Was?« Siri trat neben ihn. Das Bett war leer. Nur die Bettdecke lag darauf, ordentlich gefaltet.
    Sie spürte, wie der Raum um sie leicht zu wanken begann. »Aber …«, begann sie. »Aber ich habe ihn doch … ich habe ihn doch gesehen! Er lag hier …« Sie zeigte. »Genau hier, er war beim Warten eingeschlafen. Ich habe seinen Puls gefühlt, da war kein Puls, er war tot, ganz bestimmt …«
    Werter

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