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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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irgendeiner Weise erregte, was sie tat und ihn tun ließ, war nichts als ein Mittel zum Zweck.
    Sie sah Lenz an, und er sah sie an, er stand wie erstarrt.
    Jetzt. Jetzt tue ich dir wirklich weh. Jetzt wirst du spüren, wie das ist, wenn man vertraut und merkt, dass es nichts zu vertrauen gibt. Den ganzen Schmerz. Er ist unendlich groß und unaushaltbar. Jetzt.
    Vielleicht hatte sie das letzte Wort geflüstert, denn Kaminski nahm es auf wie einen Befehl, und auf einmal wich alle Behutsamkeit aus seinen Bewegungen, auf einmal hatte er es eilig.
    Er riss am Gürtel ihrer Jeans, schaffte es, ihn zu lösen, streifte die Hosen über ihre Hüften hinunter, es war nicht notwendig, sie ganz auszuziehen, nicht hierfür, sie spürte hinter sich, wie er einen kurzen Augenblick lang mit seiner eigenen Hose kämpfte, und dann fühlte sie seine Hände zwischen ihren Beinen, tastend, seine Finger in ihr, er tat ihr weh auf seiner Suche nach größeren Tiefen, aber sie ließ auch das geschehen, es war in Ordnung, es war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den sie Lenz zufügte.
    Kaminski zog seine Hand weg, umfasste stattdessen ihre gefesselten Handgelenke mit seinen feuchten Fingern und presste sich an sie, aber es war nur die eine Hand, mit der anderen spreizte er ihre Pobacken, und der Schmerz kehrte scharf und schneidend zurück, als er in sie eindrang. Das war nicht der Plan gewesen. Du hättest fragen können, kleines Arschloch, dachte sie, das ist garantiert die eine Sache, die dir die hysterische Mutter mit ihren Trampolinkindern nicht gestattet hat. Sie biss die Zähne zusammen, sie hatte Tränen in den Augen, sie hörte ihn atmen und hasste ihn. Es war viel einfacher, Kaminski zu hassen als Lenz.
    Sie versuchte, sich mit ihm zu bewegen, um den Schmerz zu minimieren, sie wollte dies jetzt nicht unterbrechen, sie musste es irgendwie durchziehen. Sie wandte ihren Blick nicht von Lenz ab, keine Sekunde.
    Der Junge dort hinter ihr, er war nur ein Junge, er war nicht älter als Anfang zwanzig – er war wie ein Tier in allem, was er jetzt tat, rücksichtslos, nicht mehr zu halten. Sie sah Lenz an und dachte an seine Zärtlichkeit, die Zärtlichkeit eines Menschen, der aus Liebe tötete.
    Sie wollte die Augen schließen und die Welt vergessen. Warum war alles so verkehrt?
    Aber sie zwang sich, den Blickkontakt nicht zu unterbrechen.
    Den Schmerz, seinen Schmerz, zu maximieren.
    Ich werde gehen, dachte sie, ich werde gehen, und ich weiß nicht, ob ich tun kann, wozu ich gekommen bin; ich werde gehen, morgen schon, dies ist der dissonante Schlussakkord.
    Siri Weiß wird länger leben als bis 2012, ohne zu lieben vielleicht, aber sie wird leben.
    Kaminski gab einen Laut von sich, der wieder mehr einem Tier glich als einem Menschen, etwas zwischen einem Schrei und einem erstickten Gurgeln, dann ließ er sie los, taumelte einen Schritt zur Seite und stützte sich mit beiden Armen auf das Fensterbrett neben ihr, den Kopf gebeugt, stand einen Moment nur da und rang nach Atem. Sie sah die Muskeln auf seinen Oberarmen spielen. Auf den linken hatte er eine Rune tätowiert, deren Bedeutung sie nicht kannte und auch nicht kennen wollte.
    »Das …«, keuchte er, ohne den Kopf zu heben. »Das war … wow.«
    »Arschloch«, sagte Siri, und da sah er auf und grinste, ein wenig wie ein Junge, der bei einem Streich erwischt worden ist.
    Sie blickte wieder aus dem Fenster, und in diesem Moment kam Bewegung in Lenz.
    Er hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt, aber jetzt lief er, er lief zwischen Stauden und hohem Herbstgras auf das Haus zu, und er war schnell. Siri zog ihre Hose hoch und streifte das Seil von ihren Händen. Dann trat sie vom Fenster zurück.
    »Hey«, sagte Kaminski, der immer noch auf das Fensterbrett gestützt dastand. »Was …?«
    Er reagierte verlangsamt, richtete sich auf und versuchte, sich wieder anzuziehen, aber die Zeit reichte nicht. Lenz war mit einem Satz auf dem Fensterbrett, er sprang in den Raum wie eine graue steinerne Katze und stürzte sich auf Kaminski, und dann rollten sie über den Boden.
    Stühle fielen um, Siri zuckte bei dem Krachen zusammen. Der Kampf war kein Kampf und dauerte nur Sekunden. Lenz war mehr als einen Kopf größer als Kaminski. Er lag jetzt auf ihm, nagelte ihn mit seinen Knien an den Boden und holte aus – Siri hatte ihn noch nie so außer Kontrolle gesehen. Das einzige Mal, dass sie ihn außer Kontrolle gesehen hatte, war der Tag gewesen, an dem er sie auf dem Friedhof

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