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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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ihren beiden Körpern zu finden; sie machte noch einen Versuch, ihn zu führen, und auch dieser Versuch scheiterte. Vielleicht lag es an ihr. Ihr war jetzt zu kalt, viel zu kalt, ihr Körper verschloss sich, und er hätte ein wenig Gewalt gebraucht, nur ein wenig, um ihn zu öffnen, aber er wagte es nicht, sie kämpften eine Weile gemeinsam dafür, dass alles doch noch funktionierte – dann erstarb seine Erektion unter ihren Fingern, und was sie auch tat, sie schaffte es nicht, sie zurückzugewinnen. Auf einmal war die ganze Sache nur noch peinlich, und Siri wünschte sich weit, weit weg.
    Sie musste jetzt etwas Freundliches sagen, etwas wie »Nicht so schlimm«, aber sie bekam nichts heraus. Lenz setzte sich auf, zog sie mit sich hoch und nahm sie in die Arme. Sie zitterten gemeinsam, der Wind hatte aufgefrischt. Aber Siri wollte nicht umarmt werden, nicht jetzt, nicht so.
    Was sie gewollt hatte, war etwas Schnelles und Unkompliziertes gewesen, und diese Umarmung bedeutete zu viel.
    Am liebsten hätte sie sehr laut geflucht.
    Sie riss sich von ihm los und sammelte ihre nassen Sachen ein.
    »Es tut mir leid«, sagte Lenz.
    »Schon gut«, murmelte sie. Die nassen Sachen weigerten sich, angezogen zu werden, sie waren schlammverklebt und schrecklich, aber sie konnte schlecht nackt zurück zum Dorf gehen.
    Sie sah, wie er ebenfalls mit seinen Kleidern rang.
    »War es mit Carla so viel anders?«, fragte sie, während sie ihren Pullover auswrang und überstreifte.
    »Mit Carla?« Er schüttelte den Kopf. »Siri … du hast das falsch verstanden. Ich habe nicht mit Carla geschlafen.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Natürlich bin ich mir sicher. Ich habe noch nie mit einer Frau …«
    »Nein. Sag das jetzt nicht, bitte.«
    »Dann sage ich es nicht«, sagte er bitter. »Wenn es nur darauf ankommt.«
    Damit ließ er sie stehen und ging, nein, er rannte, er rannte in seinen nassen grauen Kleidern über die Wiese davon. Er floh.
    Ein Kind.
    Vielleicht fand er Iris, irgendwo auf der anderen Seite der Wiese, vielleicht würden Iris’ Kinderhände ihm die Scham aus den Augen wischen und ihn trösten. Sie war es, Iris, die sechsjährige Iris von damals, die zu ihm gehörte. Nicht die Siri von jetzt.
    Kaminski hatte keine Ahnung, wie unrecht er gehabt hatte mit Carla Berg.
    Siri hob den Mantel auf und ging langsam in die Richtung, in die Lenz gelaufen war. Dort lag, hoffentlich, das Dorf. Sie brauchte eine heiße Dusche. Dringend. Sie brauchte eine Tafel schwarze Schokolade. Oder zwei. Sie wollte sich auf ihr Bett legen und die vertraute Decke über den Kopf ziehen und vergessen, was an diesem Abend geschehen war.

10
    »Du schläfst ja nicht«, sagte Iris. »Was tust du?«
    »Nichts«, sagte Lenz.
    Sie kniete neben seinem Bett, wo er mit offenen Augen auf der Seite lag und ins Leere starrte.
    »Es ist beinahe Morgen«, sagte Iris. »Du siehst nicht aus, als hättest du überhaupt geschlafen. Was ist passiert?«
    Er schlug die Decke zurück, stand auf und zog sich schweigend an. Iris sah ihm zu. Sie wartete auf eine Antwort. »Du weißt es doch«, sagte er, »du weißt, was war. Oder nicht? Warst du nicht da? Hast du nicht zugesehen?«
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte Iris und schüttelte den Kopf. Er sah ihr blondes Haar fliegen wie Goldstaub. »Hast du dich wieder von irgendwem verprügeln lassen?«
    Er schüttelte den Kopf, bückte sich dann und hob sie hoch, sodass ihre Gesichter auf einer Höhe waren. Beinahe stießen ihre Köpfe an die Dachschräge. »Ich wünschte, ich könnte es dir erzählen. Aber es ist etwas, dass nur Erwachsene … verstehen, fürchte ich.«
    »Ach was«, sagte Iris. »Und seit wann bist du so verdammt erwachsen?« Sie legte ihre Hände auf sein Gesicht, malte Kreise um seine Augen herum, nachdenklich. »Es hat mit der Fensterfrau zu tun, stimmt’s? Frau Pechten? Du fängst an, die Dinge anders zu sehen.«
    Ihr Kindergesicht war so ernst, wie er es selten zuvor gesehen hatte. »Ich werde dich verlieren«, flüsterte sie. »Und dann werde ich ganz allein sein.«
    »Nein«, flüsterte er und drückte sie an sich. »Nein. Du verlierst mich nicht, und ich verliere dich nicht. Es klappt sowieso nicht mit der Fensterfrau, nichts klappt … ich weiß nicht mal, was sie will. Gestern Abend, da wusste ich, was sie will, und das konnte ich ihr nicht geben … aber im Großen und Ganzen bin ich mir unsicher.«
    Er spürte, wie Iris die Schultern zuckte. Ihr Haar kitzelte ihn dabei am Hals. Die Wange, die seine

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