Friedo Behuetun 02 - Dunkles
vielleicht noch ins Gesicht blies. Jetzt aber war »Wolke« ein Fremdwort. Es herrschte ein riesiges Hoch, vom Baltikum bis hinüber nach Frankreich. Behütuns hatte bis Mittag geschlafen, er hatte die Nachtschicht gehabt. War eigentlich ganz gut, denn in den Morgenstunden war es wenigstens nicht so heiß, und das hielt sich meist bis in den Vormittag. Bis in die Nacht hinein aber drückte die Hitze, sie stand über der Stadt. Schlafen jedoch war eigentlich der falsche Ausdruck, das ging nicht. Wachsein mit Wegseinsphasen, Dasein und Wegsein zugleich, Sichwälzen – und trotzdem fühlte er sich erquickt. Erholt wie nach einem Fünfminutenschlaf. Lamas sollen das ja auch können, jahrelang. Lamas, die Stufe unter dem Dalai, wenn er das richtig verstanden hatte. Die schliefen ja angeblich nie – aber eigentlich immer. Immer nur für Minuten, im Sitzen, und das über Jahre hinweg. Keine Ahnung, ob das stimmte, aber so hatte er das einmal gehört. Also ging das auch bei ihm. Aberwas machte er sich da für Gedanken. Was zählte, war, dass er erquickt war. Oder es lag am Alkohol, auch das hatte er einmal gelesen. Dass Alkohol, also ein schönes Dunkles oder zwei, erst einmal euphorisiere und dann müde mache. Und während des Alkoholabbaus geschehe das Gleiche rückwärts. Man schläft, weil man müde ist vom Bier, dann baut man den Alkohol ab, und dann kommt man rückwärts wieder in die Phase der Euphorie, wacht also wieder auf.
Wie auch immer. Kommissar Behütuns war wach, fühlte sich frisch, wartete und hatte Zeit, etwas zu tun. Und jetzt überlegte er, was er unternehmen könnte bis zu Dienstbeginn am Abend. Das Streitberger Bad reizte ihn, aber so weit wollte er nicht fahren. Außerdem ärgerte er sich schon fast bei dem Gedanken an das Bad. Nicht wegen des Bades, sondern wegen des Gedankens. Fiel ihm denn überhaupt nichts anderes mehr ein? Das ging doch jetzt bereits seit Tagen so und war ja schon fast langweilig. Ob der Keller in Kalchreuth schon wieder bewirtet war? Das wäre doch ein Plan – und nicht so weit weg! Sich ins Dunkel des Waldes zu setzen dort in der Schlucht, und unter den Bäumen ein gepflegtes Bier.
Guter Plan.
Dieser Keller ist schon etwas ganz Besonderes. Ist es heiß, kannst du dich in die Schlucht auf die Terrassen unter den Waldbäumen setzen und hast es schön kühl. Willst du die Abendsonne, setzt du dich hoch an den Waldrand auf die Wiese. Herrlich. Siehst keine Straße, nur Wiese, Felder, Wald und drüben Obstbäume. Alte fränkische Obstbäume, mit ganzen Stämmen, nicht die degenerierten neuen mit Halb- oder Viertelstamm. Bäume, an die man noch Leitern lehnen musste, um an das Obst zu kommen, und unter denen man früher noch die Wiesen gemäht hat, weil man das Gras brauchte. Zehn Tote gab es dabei jährlich im Fränkischen, hatte er einmal gehört. Alte, die beim Zwetschgen- oder Kirschenpflücken von den Leitern fielen. So ging man früher in Franken mit den Alten um. Schickte sie zum Ernten auf die Bäume. Entwedersie brachten Ertrag oder sie brachen sich den Hals, und man war sie los. Das war normal, das Leben hart.
Der Haufen war weich. Kommissar Behütuns war die Treppe hinuntergestiegen aus seinem dritten Stock, der Briefkasten des Nachbarn war immer noch übervoll, ganz unwillkürlich witterte, schnupperte er das Treppenhaus hoch, ob es da vielleicht schon roch, manchmal lagen die Leute ja wochenlang tot in ihrer Wohnung und gammelten vor sich hin, weil sich die Nachbarn nicht kümmerten, es roch aber nicht, und Behütuns trat auf die Straße. Er brauchte gar nicht erst hinzuschauen. Es war nur tief, weich und schmierig. Und, das war sein erster Gedanke: groß. Sein zweiter Gedanke war: Scheiße. Zweimal Scheiße. Einmal, dass er hineingetreten war, und zweitens, dass es Scheiße war. Ein großer, fetter Haufen. Ein gigantisches Vieh muss das gewesen sein. Weicher, hellbrauner Matsch. Was halten die Leute nur für Riesentölen in der Stadt, was wollen die damit? Sich abschlecken lassen von riesigen Zungen? Hundehaare auf der Butter im Kühlschrank? In der ZEIT hatte er vor Jahren einmal eine Überschrift gelesen, die das traf, was er darüber dachte: »Hunde machen Lärm und große Haufen«. Wie viel man doch mit wenigen Worten sagen kann. Dabei war er kein Hundefeind, nur – in der Stadt?
Behütuns sah an sich hinunter. Links und rechts von seinem rechten Schuh quoll es hervor, klebte schon an den Seiten. Es schmatzte, als er seinen Fuß hochhob.
Als Schüler hatten
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