Friesengold (German Edition)
Augenbrauen. Nur zu gerne hätte er jetzt mit dem Finger ein Display berührt und sich die Szene in Zeitlupe noch einmal angesehen. So blieb ihm nur, das Mienenspiel des dicken Mannes weiterhin genau zu verfolgen. Und zu versuchen, das Reizwort näher zu bestimmen.
»Es gibt verschiedene Gründe für einen Kriminellen, Akten zu durchsuchen oder zu entwenden. Sehr oft sind dies natürlich die Akten selbst, mit denen sich jemand erpressen lässt oder die sich auf andere Weise zu Geld machen lassen. In diesem sehr speziellen Fall vermute ich jedoch, dass der Täter einen Hinweis sucht. Einen Namen zum Beispiel oder eine Adresse.«
Greven hatte sich nicht getäuscht. Es waren nur Nuancen, die Bewegung weniger Muskeln, die ein Mediziner wahrscheinlich sofort hätte mit lateinischen Namen belegen können. Grönmann gab sich große Mühe, weiterhin seine professionelle Gelassenheit zu demonstrieren, aber seine Vorstellung war dennoch für einen Moment aus dem Takt geraten.
»Es tut mit leid, aber da kann ich dir nicht weiterhelfen, so gerne ich das auch tun würde. Ich zähle nicht zu den Erben, wie dir das Gericht bestätigen wird, falls du nicht ohnehin schon nachgefragt hast. Und irgendwelche Akten hat Thalke bei mir auch nicht gelagert. Warum sollte sie auch, denn schließlich ist sie nie bei mir eingezogen. Noch eine Tasse Tee?«
Grönmann hatte sich wieder fest im Griff und Greven endlich eine Fährte. Grobe Strukturen wurden mit einem Mal fassbar, Vektoren brachten endlich Namen miteinander in Verbindung. Und einer diese Namen war definitiv Simon Grönmann.
11
Auf dem Weg zum Wagen meldete sich sein Knie. Es war kein überraschender Stich, wie schon so oft, sondern diesmal schlich sich der Schmerz zunächst unbemerkt ein. Erst als er die Kirche erreichte, hinter der er geparkt hatte, wurde er auf ihn aufmerksam, ohne zu wissen, wann er eigentlich eingesetzt hatte. Natürlich glaubte er nach wie vor nicht an die Mordfühligkeit, die Freunde und Kollegen seinem Knie bisweilen nachsagten, aber nach dieser Zeugenvernehmung lag sein Knie mit Sicherheit richtig.
Grönmann war kein einfacher Kandidat, sondern ein schwerer Brocken, der mit allen Wassern gewaschen war. Er kam als Täter schon allein aufgrund seines Körpergewichts nicht in Frage, ganz abgesehen von der Tatsache, dass er zwar über ein gewisses Maß an krimineller Energie verfügte, wie fast jeder Geschäftsmann dieser Kategorie, aber Grevens Überzeugung nach nicht zu einem vorsätzlichen und brutalen Mord fähig war. Zu gerne hätte er sich in Grönmanns Haus umgesehen, aber dazu fehlte der Anfangsverdacht, den er für eine Hausdurchsuchung benötigte. Der zuständige Richter würde in Grönmann nur einen Zeugen sehen und sich nicht von seinen Beobachtungen und seinem psychologischen Gespür überzeugen lassen. Greven musste also darauf verzichten, nachzusehen, ob Grönmann nicht doch einen Umzugskarton erhalten hatte oder einen Aktenordner von Thalke von und zu Aldenhausen besaß. Ein Blick ins Testament war jetzt unverzichtbar geworden. Er musste wissen, wer von der angeblich mittellosen Adeligen bedacht worden war. Bevor er in den Wagen einstieg, rief er Ackermann an und betraute ihn mit dieser Aufgabe.
Er hatte fast die Greetsieler Zwillingsmühlen erreicht, als ihm Mona einfiel, die auf frischen Fisch gedrängt hatte. Auf sein Argument, bei Schnee und Eis würde kaum ein Kutter auslaufen, hatte sie sich nicht eingelassen. Also bog er nach rechts ab, denn dort, wo einst die Darren gestanden hatten, um den Beifang der Kutter, den sogenannten Gammel, zu Tierfutter zu verarbeiten, stand nun das Fischgeschäft der Firma de Beer.
In seinen Kindertagen hatte der Geruch der Darren zum Alltag des Dorfes gehört. Er war gewissermaßen die Basisnote des Ortes, während der Hafen für die Herznote verantwortlich war. Seine Eltern hatten den Geruch gehasst, der sich regelmäßig in die Wäsche einnistete, die auf der Leine hing, und den Weg mühelos durch die damals noch zugigen Fenster fand. Greven aber hatte den Geruch geliebt, der für ihn zum Charakter seines Dorfes gehörte. Wenn die Darren zu riechen waren, war man zu Hause. Nirgendwo auf der Welt gab es einen ähnlichen Geruch. Die Aromen waren einfach unverwechselbar gewesen. Heute roch und schmeckte die Luft, wie sie überall an der Küste schmeckte.
Greven hatte Glück, denn Cornelia de Beer, die Chefin des Unternehmens, stand selbst hinter dem Tresen.
»Moin, Gerd. Ich
Weitere Kostenlose Bücher