Friesengold (German Edition)
angesehene und vermögende Antiquitätenhändler Manfred Sicken. Bislang konnten ihm allerdings nur kleinere Steuervergehen nachgewiesen werden. Fest steht nur, dass die Beute von Kunstdiebstählen aus dem gesamten norddeutschen Raum immer wieder auf europäischen Messen und bei Auktionen auftaucht. Die Kollegen glauben, dass Sicken die Fäden zieht und wahrscheinlich sogar gezielt Diebstähle in Auftrag gibt. Nur beweisen können sie es ihm einfach nicht. Der Mann ist nämlich nicht dumm. Für seine inoffiziellen Geschäfte verzichtet er auf Telefon, Handy und Internet und verschickt lieber gewöhnliche Ansichtskarten mit sinnlos klingenden Texten. In Wahrheit eine simple, aber dennoch nicht ohne Weiteres zu knackende Geheimschrift. Polyalphabetische Substitution. Schon mal gehört?«
Häring hob umgehend den Finger und zog prompt die Blicke seiner Kollegen auf sich, die ihn ansahen wie Mitschüler einen Streber.
»Bravo«, lobte Pütthus und zupfte dabei an seinen langen Haaren herum. »Aber zurück zum Thema. Es hat also lange gedauert, bis die Oldenburger den Kartentrick durchschaut haben. Zwei oder drei Karten konnten sie abfangen, dann hat sich Sicken etwas Neues einfallen lassen. Allerdings wissen sie noch nicht, was.«
»Gut«, sagte Greven. »Aber warum erzählst du uns das? Käme dieser Sicken etwa als Mörder von Heyden in Frage?«
»Wohl kaum. Sicken macht sich die Finger nicht schmutzig. Außerdem ist bei den Einbrüchen, die höchstwahrscheinlich auf sein Konto gehen, noch nie Blut geflossen. Wie gesagt, der Mann ist kein Dummkopf.«
»Aber Heyden hat für ihn gearbeitet.«
»Auch für ihn. Steht alles in den Akten. Aber das meine ich gar nicht. Mir ist da gerade nur ein Gedanke gekommen. Wer immer eine irgendwo verschwundene goldene Uhr, ein geklautes Modellschiffchen von Peter Carl Fabergé oder einen ähnlichen Wertgegenstand fraglicher Provenienz zu Geld machen will …«
»… der findet in diesem Sicken immer den richtigen Ansprechpartner mit den besten Kontakten«, setzte Greven den Satz seines Freundes und Kollegen fort.
»Mehr wollte ich nicht sagen«, lächelte Pütthus, hob zweimal die Augenbrauen als Abschiedsgruß, machte zwei Schritte rückwärts und zog die Tür hinter sich zu.
»Das könnte ein wertvolles Puzzleteil sein«, meinte Greven und wollte sich gerade wieder der Flipchart zuwenden, als sich die Tür erneut auftat. Es war jedoch nicht Pütthus, der etwas vergessen hatte, sondern Jaspers, der wie eine Trophäe das so lang vermisste Testament in Fingern hielt.
»Der zuständige Richter hatte die Grippe. Das war alles.«
»Na, dann wollen wir mal sehen«, sagte Greven und schlug den Aktendeckel auf. Nach der üblichen Vorrede folgte eine Auflistung der wenigen Besitztümer Thalke von und zu Aldenhausens und schließlich die Aufteilung.
»Grönmann ist nicht unter den Glücklichen«, musste Greven feststellen. »Er hat also in diesem Fall die Wahrheit gesagt. Dafür steht jemand anderes auf der Liste, den ich hier nicht erwartet hätte.«
Diesmal flogen ihm alle Blicke zu.
»Annalinde von Reeten.«
18
Schon zweimal war Greven die Osterstraße und die Burgstraße auf und ab gepilgert, ohne der Lösung näher gekommen zu sein. In den Buchläden hatte er die Kunst- und Bildbände durchgesehen, in zwei Boutiquen sich die Schals zeigen lassen, sich bei einem Juwelier nach Ohrringen erkundigt. Einer Entscheidung aber war er aus dem Weg gegangen, hatte lobende Worte zurückgelassen, war dann aber wieder gegangen. The same procedure as every year . Und das, obwohl sie sich vor Jahren versprochen hatten, dem obligaten und vorsätzlichen Austausch von Weihnachtsgeschenken ein Ende zu setzen. Nur um dann für den Partner rein zufällig und wider alle Vereinbarungen doch eine Kleinigkeit parat zu haben. Aber welche Kleinigkeit? Welches handliche, kleine Geschenk sprengte nicht den Rahmen, erfüllte noch nicht die gängigen Kriterien, ein vollwertiges Weihnachtsgeschenk zu sein? Welche von einem Verkäufer professionell verpackte Aufmerksamkeit ging gerade noch eben als Nichtgeschenk durch, bereitete Freude, ohne das Heiligabendritual heraufzubeschwören, das man ja eigentlich zu boykottieren gedachte?
Schon hatte er wieder den Wall erreicht und machte ein weiteres Mal kehrt. Zwei Einzelkämpfer mit Siegermienen kamen ihm entgegen, Einkaufstüten wie Medaillen hin- und herschwenkend. Die hatten es hinter sich. Ob er Leidensgenossen vor sich hatte, die wie er
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