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Friesengold (German Edition)

Friesengold (German Edition)

Titel: Friesengold (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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ausgezogen waren, in letzter Minute Wir-schenken-uns-nichts-Geschenke zu kaufen, konnte er allenfalls vermuten.
    Das Schaufenster voller Bücher war zu einer festen Haltestelle geworden, sein Blick wanderte wieder über die Angebote und Neuerscheinungen. Bretagne? Toskana? Oder doch Gerhard Richter? Neo Rauch?
    »Moin, Gerd, noch nicht komplett?«
    Greven hatte gar nicht bemerkt, dass sich neben ihm ein älterer Mann eingefunden hatte. Seine Stimme reichte aus, ihn als Otto Niebuhr zu erkennen, einen Kollegen, der vor ein paar Jahren pensioniert worden war. Als Greven zur Seite sah, erschrak er, denn der einst so erfolgreiche Kommissar hatte äußerlich mehr als nur ein paar Jahre verloren. Seine Haare waren schlohweiß, seine Stirn, sein Kinn, sein Hals von Falten durchzogen, die Wangen schmal, sein Blick war trübe, fast ein wenig hilflos und ließ bereits den Greis erkennen.
    »Moin, Otto. Lange nicht gesehen. Wie geht’s dir?«
    »Ich kann nicht klagen«, antwortete der Mann in einem Ton, in dem die Klage mitschwang. »Aber wie sieht es bei dir aus? Kommst du voran?«
    »Ich suche für Mona eine Kleinigkeit, kann mich aber nicht entscheiden.«
    »Das meine ich nicht«, sagte der alte Kollege. »Ich dachte an den aktuellen Mordfall.«
    »Wenn ich so weitermache, habe ich den eher gelöst, als ein Geschenk gefunden.«
    Während ein Lächeln über Niebuhrs Gesicht huschte und sich ein kleiner Smalltalk entspann, dachte Greven an seine Pensionierung. Der Mann vor ihm, wurde ihm langsam bewusst, erlaubte ihm einen Blick in seine eigene Zukunft. Dabei fühlte er sich der Vergangenheit noch gar nicht entronnen, dachte noch oft an seine Studienzeit in Frankfurt, an die Demos und Partys, an die Seminare und Konzerte. Emotional lag das noch gar nicht so weit zurück, waren die Gesichter, Straßen und Wohnungen noch ohne Mühe abrufbar. Niebuhr erzählte von seinen Enkeln, die ihren Besuch angekündigt hatten. Er steckte in einem Wintermantel, der eine Nummer zu groß zu sein schien, aber bestimmt noch vor Jahren ganz gut gepasst hatte. Sein einst ebenso breiter wie gerader Rücken hatte nachgegeben und zwang ihn dazu, leicht gebeugt vor dem Schaufenster zu stehen. Auf die Enkel folgte seine seit Jahren kranke Frau und schließlich wieder der aktuelle Fall. Mit aufflammender Begeisterung erzählte der alte Kollege von weit zurückliegenden, aber nicht weniger komplizierten Fällen und gab verschiedene Ratschläge. Eine Falle, betonte er, eine Falle müsse man dem Täter stellen. Die Verdächtigen müsse man auf raffinierte Art und Weise provozieren und so aus der Deckung locken. Der Jüngere nickte zustimmend, achtete aber darauf, seinen Job zu behalten.
    »War schön, dich mal wiederzusehen«, sagte Niebuhr nach kalten zehn Minuten. »Komm doch mal vorbei, wenn du Zeit hast.«
    »Das mache ich gerne«, sagte Greven, obwohl er wusste, dass für Besuche dieser Art die Zeit eigentlich nie reichte. Vornübergebeugt stapfte der Ex-Kommissar der Dunkelheit entgegen.
    Greven löste sich vom Bücherfenster und peilte nun die Parfümerie an, die er bislang ausgelassen hatte. Da Mona einen großen Verbrauch an bestimmten Duftnoten hatte, würde er hier vielleicht fündig werden. Ein Parfüm war zwar ein klassisches Last-Minute-Geschenk, aber für Mona eine durchaus passende Überraschung. Mit einem Flakon hatte er ihr noch nie am Heiligabend aufgelauert.
    Kaum hatte er den Laden betreten, da stürzte sich auch schon eine Verkäuferin auf ihn und bot rasche Entscheidungshilfe an. Obwohl der Raum aus Veilchen, Rosen und Lavendel zu bestehen schien, zückte sie umgehend einige Teststreifen, auf die sie exklusive Destillate aus bereitstehenden Flakons sprühte und mit Adjektiven wie frisch, blumig oder jugendlich versah. Schon nach drei dieser Papierstreifen, die er sich unter die Nase halten musste, war er überfordert und erwirkte einen Aufschub. Die Namen auf den Flakons waren ihm vertraut, aber die Wahl zwischen den verschiedenen Düften erleichterte dieses Wissen nicht. Wie vorhin bei den Büchern stellte sich ein Gefühl der Ratlosigkeit ein. Schließlich versuchte er es mit Schnelligkeit und verzichtete auf Pausen zwischen der Prüfung der Teststreifen, aber auch das half ihm nicht weiter. In sicherer Entfernung wartete die Verkäuferin auf seine Entscheidung, wahrscheinlich vertraut mit vorweihnachtlichen Kunden wie ihn.
    »Hallo, Herr Kommissar.«
    Greven ließ die Teststreifen sinken und sah zur Seite. Rechts neben ihm stand

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