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Friesengold (German Edition)

Friesengold (German Edition)

Titel: Friesengold (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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Annalinde von Reeten. Doch das allein war noch nicht die Überraschung, die vielmehr in dem freundlichen Lächeln bestand, mit dem sie ihn bedachte. Die dunkelvioletten Lippen bildeten keinen horizontalen Balken, wie bisher gewohnt, sondern waren nach oben gebogen. Die Augen leuchteten. Der Teenager lebte.
    »Hallo, Frau von Reeten. Suchen Sie auch noch ein Geschenk?«
    »Nein, mir war nur die Farbe ausgegangen. Aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
    Wie selbstverständlich nahm ihm Annalinde von Reeten die Papierstreifen aus der Hand und legte sie auf den Tresen. Kritisch betrachtete sie die Vorauswahl der Verkäuferin und sah ihn fragend an. »Für Ihre Lebensgefährtin?«
    Greven nickte.
    Zielstrebig steuerte das Gothicgirl auf das Regal zu und kehrte mit zwei Schachteln zurück. Routiniert öffnete sie die Kartons und zog die Flakons heraus.
    »Das würde ich nehmen«, sagte sie, griff seine linke Hand und drückte auf den Zerstäuber.
    Der Duft unterschied sich deutlich von denen, die die Verkäuferin ins Rennen geschickt hatte. Er war differenziert und ungewöhnlich, nicht blumig, sondern indisch und gewürzorientiert, nicht schwer, nicht aufdringlich, aber sehr prägnant und unverwechselbar. Zu seiner Überraschung reagierte sein Kopf mit einer Melodie auf das olfaktorische Angebot, und zwar mit A Love Supreme von John Coltrane.
    Als er die Hand sinken ließ, griff der Teenager erneut zu und besprühte seine rechte Hand. Diesmal kroch ihm ein ferner Strand in die Nase, an dem Kokospalmen wuchsen und Orchideen blühten. Das Meer aber blieb spürbar und brachte sich mit einer Note ein, die Fernweh verströmte.
    »Na, was sagen Sie?«
    »Fantastisch. Die sind beide fantastisch. Aber da ich nur eines nehmen kann, wird es wohl das Erste sein.«
    »Eine gute Wahl«, freute sich Annalinde von Reeten. »Genau das Richtige für eine Künstlerin, die so starke Bilder malt.«
    Greven sah in ein Gesicht, das mit dem aus der Gründerzeitvilla kaum noch etwas gemein hatte. Er fragte sich, wie das Mädchen wohl hinter ihrer Maske aussah.
    »Waren Sie denn in der Ausstellung?«
    »Natürlich. So etwas lasse ich mir doch nicht entgehen. Starke Bilder. Wirklich.«
    Greven überlegte kurz, ob er die Gelegenheit nutzen sollte und entschied sich, sie nicht verstreichen zu lassen.
    »Danke für den Tipp. Sie haben mich wirklich gerettet. Darf ich Sie noch etwas fragen? Auch wenn es mit Weihnachten nichts zu tun hat?«
    »Klar doch.«
    »Ich habe das Testament von Thalke bekommen und mich gewundert, dass auch Sie zu den Bedachten gehören.«
    »Meine Großtante hat mich irgendwie gemocht. Ich weiß auch nicht, warum. Jedenfalls hat sie mir einen Karton mit Krimskrams hinterlassen. Steht irgendwo auf dem Dachboden. Wir haben nur einmal kurz reingesehen.«
    »Warum haben Sie mir das nicht schon eher gesagt?«
    »Sie haben mich nicht danach gefragt. Sie haben überhaupt noch nicht mit mir gesprochen, nur Ihre Kollegen.«
    »Sie haben natürlich recht, aber Ihre Mutter …?«
    »Für Frau Mutter bin ich nicht verantwortlich!« Tonfall und Mienenspiel waren unmissverständlich.
    »Könnte ich den Karton einmal sehen?«
    »Klar doch. Jederzeit. Ist aber nichts Wertvolles drin. Nur altes Zeug.«
    Greven sah kurz auf die Uhr. Eine entsprechende Frage brauchte er allerdings nicht zu formulieren, da Annalinde von Reeten ihm zuvorkam.
    »Wenn Sie mich nach Hause fahren, können Sie gleich nachsehen. Ist sowieso günstig, Frau Mutter kommt erst spät zurück.«
    Greven winkte der Verkäuferin, die den Duft weihnachtstauglich und mit vielen Schleifen verpackte. Sie schien mit der Wahl nicht einverstanden zu sein und taxierte den Teenager an seiner Seite mit ablehnenden Blicken, die Annalinde von Reeten mit einem überheblichen Lächeln beantwortete.
    Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, dann tauchte die Villa aus der Dunkelheit des winterlichen Spätnachmittags auf. Greven hielt wieder auf den Vordereingang zu, doch sein Fahrgast lenkte ihn auf die Rückseite des Hauses. Der Weg war nicht gekehrt. Der Schnee knirschte unter den Reifen. Im Licht der Scheinwerfer erschien ein kleiner Anbau mit einer grünen Tür. Es war die Werkstatt, in die er beim ersten Besuch einen kurzen Blick geworfen hatte.
    »Ich hab nur den Schlüssel für die Hintertür«, sagte sie, sprang fast aus dem Auto und schloss auf. Der Raum, in dem sich Heyden nicht lange aufgehalten hatte, war wieder aufgeräumt. Gartenschläuche und Gartengeräte waren wieder an ihren

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