Friesenherz
als könnte sie an der Deckenlampe eine versteckte Kamera entdecken. »Ich würde … Ich möchte … Ich könnte mir vorstellen …«
Sie atmete tief ein.
»Ich würde gerne heiraten.« Dann blickte sie in einer Mischung aus Triumph und Ängstlichkeit in die Runde.
»So. Jetzt ist es raus.«
Geli blickte sie verständnislos an.
»Und wo ist das Problem?«
Bärbel schnaubte verächtlich. »Das Problem? Das Problem ist, dass Frauen wie ich nicht heiraten. Dass es total wichtig ist, unabhängig zu sein und nur dem eigenen Gefühl verpflichtet und dem Ideal der eigenen Beziehung. Es wäre … also, wenn ich Ahimsa sagen würde, dass ich heiraten will, das wäre der schlimmste Vertrauensbruch, das würde er mir nie verzeihen.«
»Aber liebst du ihn denn?« Geli sah Bärbel mit kindlicher Verwunderung an.
Vor der Tür hörte ich Schritte, die eilig näher kamen. Diesmal schlug mein Herz nicht mehr schneller. Wurde ich allmählich wieder normal?
»Ja, also … also, dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, dieses einander Ein- und Ausatmen, so, wie Ahimsa es nennt, das ist …«
»Sprich nicht von deinem Partner«, mahnte Dr. Sidhoo. »Sprich von dir.«
»Ich«, sagte Bärbel, und dann begann sie wieder, mit ihrem wollbestrumpften großen Zeh auf dem Boden zu schreiben, »also, ich würde sagen …«
In dem Moment flog die Tür auf. Im Türrahmen stand Ann, breitbeinig und zerzaust. Ihr farbenfrohes Oberteil klebte feucht an ihrem Körper, sodass man die Rundung ihrer Brust und sogar die Brustwarzen erkennen konnte.
»Bin ich zu spät?«, erkundigte sie sich atemlos. »Total sorry, aber – ich hab spontan ein echt cooles Angebot gekriegt … Aber lasst euch nicht stören, ich nehm mir dann mal ’ne Matte.«
»Wo kommst du denn jetzt her?«, zischte ich ihr verärgert zu.
Während sie sich seelenruhig auf der lila Unterlage ausstreckte und sich die feuchten Zotteln aus dem Gesicht hebelte, wandte sie den Kopf und sah mich unergründlich an.
»Aus dem Dampfbad«, sagte sie.
14
In der Notaufnahme des Kurklinikums roch es nach Kinderzimmer. Ich blickte mich um. Der holzgetäfelte Tresen war verlassen, in der Mitte des Foyers tröpfelte ein apathischer Springbrunnen vor sich hin. Offensichtlich hatte man es hier selten mit echten Notfällen zu tun. Dann sah ich neben dem Tresen einen Rettungssanitäter und verstand, woher der Kinderzimmergeruch kam. Der Mann lehnte lässig an der Wand unter einem Ölgemälde (Möwen vor Sonnenuntergangshimmel) und schälte eine Banane. Er nahm präzise, winzige Bissen, als wollte er die Frucht mit seinen Vorderzähnen sezieren. Der konnte mir sicher weiterhelfen.
»Sie.« Ich ging forschen Schrittes auf ihn zu. »Wo geht’s denn hier zu den Rettungshubschraubern?«
Der Sanitäter hörte auf zu kauen und blickte mich verwun dert an.
»Bitte?«, fragte er.
Im gleichen Moment fiel mir auf, dass ich den falschen Ge sichtsausdruck für meine Mission gewählt hatte. Ich durfte keinesfalls so gewinnend lächeln, das brachte mich nicht weiter. Ich schaltete um auf finstere Entschlossenheit. Ganesh-Energie, dachte ich konzentriert, Ganesh-Energie. Und zwar mit Turbo. Wieder stellte ich mir vor, wie Jan und Ann gemeinsam tropfend im Dampfbad saßen und zentimeterweise, wie zufällig, aneinander heranrückten.
Es war unglaublich demütigend, dass ausgerechnet Ann sich nun auch noch an den einzigen Mann heranwanzte, der sich in den letzten fünfzehn Jahren sichtbar für mich interessiert hatte. Aber möglicherweise hatte ich diese letzte Demütigung gebraucht, um sie in Wut zu verwandeln. Eine Wut, die mir Feuer unterm Hintern machte, mindestens so sehr wie die Sorge um Ronja. Die ses Krankenhaus würde ich nur in Begleitung eines Piloten verlassen, der mich unverzüglich zum Festland transportierte, ganz egal, wie sehr der Sturm tobte. Keine Stunde länger wollte ich hier bleiben! Wenn das kein Notfall war, dann wusste ich nicht, was einer war.
»Zu den Rettungshubschraubern«, wiederholte ich im Tele grammstil und machte dabei ein Gesicht wie ein alter Hochseekapitän, der die Evakuierung eines sinkenden Schiffes einleitete. Jedenfalls hoffte ich das.
Der Sanitäter machte allerdings keine Anstalten, die Hacken zu sammenzuknallen und »Aye aye, Sir!« zu rufen. Er musterte mich noch immer mit dieser spöttischen Verwunderung und zog die Bananenschale einen weiteren halben Zentimeter herab.
»Und wozu brauchen Sie einen Rettungshubschrauber?«, fragte er mich schließlich.
Weitere Kostenlose Bücher