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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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Mitsubishi Pajero.
    Direkt vor mir prangte die Hausnummer 20. Jans Hausnummer. Ich war also wirklich da.
    Während ich auf die Hausnummer starrte, rieb ich die schmerzende Stelle an meiner Stirn. Wegmassieren. So wie Torge das auch immer tat, wenn mir die Muskeln nach einer langen Radtour schmerzten. Das konnte er: so lange kneten und drücken und halten, bis sich der schlimmste Krampf in Luft auflöste. Mit der Stirn funktionierte das jedenfalls nicht. Ich konnte die Beule förmlich wachsen spüren unter meinen Fingern, und darunter fühlte ich den Takt, in dem mein Herz Blut durch meine Adern pumpte, aufgeputscht und durchgedreht von einer Überdosis von allem. Einer Überdosis Überraschung und Schreck, Schmerz und Lust, Wut und Enttäuschung.
    Und ein kleines bisschen, das musste ich zugeben, lag das mit der Enttäuschung auch am Haus, vor dem ich stand.
    Es war ein bisschen wie auf Ronjas alten Klassenfotos aus der Grundschule: Aus der Menge der fröhlichen, bunt gekleideten, blitz äugigen Kinder stach immer eines hervor, das ganz anders war. Pummeliger, graumäusiger, ernster. Eines, das nicht notwendiger weise am Rand stand, aber trotzdem auf den ersten Blick so aussah, als würde es nicht dazugehören. Dieses Haus war so etwas wie das Außenseiterkind der Fischertwiete: ein zweistöckiger Gelbklinker bau, die Fassade von einem ungesunden Grünstich, der nach Hausschwamm aussah, und statt eines Carports mit hauseigenem Sport boot stand nur eine Batterie schmuddeliger Mülleimer neben der Eingangstür. Immerhin ihren Abfall trennten die Hausbewohner.
    Das Bild vom friesischen Kachelofen zersprang lautstark in seine Einzelteile. Aber das war ja Gott sei Dank nicht das Einzige, das mich antrieb. Das mich durch Boldsums dunkle Straßen getrieben hatte. Dann wohnte Jan eben in einem Appartement in einem uringelben Siebziger-Jahre-Zweckbau. Und wenn schon.
    Die Klingel schrillte im Hausinneren, dann war es eine ganze Weile still.
    Ich kniff nervös die Augen zusammen und schickte Stoßseufzer zum Himmel. Gott, wenn es dich gibt, lass Jan zu Hause sein. Äh, Gott? Hab mich getäuscht. Lass ihn lieber nicht zu Hause sein.
    Gott, wenn es ihn gab, konnte mit diesen widersprüchlichen Bitten natürlich mal wieder nichts anfangen.
    Schließlich hörte ich Schritte. Sie kamen eilig die Stufen herunter, dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss, und ich hörte Jans Stimme, die ein fröhliches »Hey!« schmetterte.
    Im selben Moment schwang die Tür auf, und ich sah ein paar grüne Ohren. Die grünen Ohren waren an einem Stirnband aus grünem Plastik befestigt, und das Stirnband steckte wiederum hinter Jans Ohren fest.
    »Hey«, sagte er noch einmal, als er mich sah. Diesmal klang es deutlich weniger enthusiastisch.
    »Oh«, sagte ich einfallslos.
    Ich blickte an Jan hinunter. Die Ohren hatten mich schon irritiert, aber der Rest wurde nicht besser. Die ganze Vorderseite seines T-Shirts war mit einem wüsten Gemälde bedeckt, auf dem ich schemenhaft Ritter, Drachen und Fabelwesen mit Riesenschwän zen entdecken konnte, die sich gegenseitig alle möglichen Körperteile abbissen oder es wenigstens versuchten. »Doom of the Dark« stand in roten Buchstaben darüber, von denen stilisierte Blutstropfen abperlten. Ich senkte meinen Blick weiter. Keine Rettung in Sicht. Fallschirmseidene Trainingshosen, dazu neongrüne Plastikschuhe mit Luftlöchern. Immerhin passten die Crocs farblich zu den Monster-Ohren.
    »Das ist ja mal …«, stotterte Jan und fuhr sich durch die Haare. Dabei blieb der Reif mit den Ohren an seinen Fingern hängen, und er starrte ihn blicklos an, als hätte er keine Ahnung, wie der da hingekommen war.
    »Du, sorry«, fuhr er verwirrt fort, »also, mit dir hätte ich jetzt überhaupt nicht gerechnet.«
    »Das merk ich«, gab ich zurück, verwundert über meine eigene Coolness. Und auch wieder nicht. Was hätte mich schon noch schrecken sollen, nach allem, was dieser Tag bisher mit sich gebracht hatte.
    »Also, ich find’s … ich find das übelst süß, dass du vorbei kommst«, beeilte er sich und fasste mich am Arm. »Ich hatte bloß mit einem Kumpel gerechnet. Und mich schon gewundert. Wir waren eigentlich erst in ’ner halben Stunde verabredet, und dann verspätet der sich auch noch immer.«
    »Klar«, sagte ich verständnisvoll und ließ mir nichts anmerken. Da, wo Jan mich anfasste, brannte meine Haut vor lauter Erinnerung. Offensichtlich funkten meine taktilen, meine akustischen und meine optischen

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