Friesenluege - Ein Nordfriesland Krimi
mach Abendbrot.« Kaum eine halbe Stunde später saßen sie zusammen am Küchentisch. Niklas hatte vom Schwimmen ordentlich Hunger und aß mit großem Appetit. Tom hingegen knabberte nur an einem Stück Schwarzbrot.
»Is dir nicht gut?« Haies Frage löste eine Jammertirade aus.
»Der Leibnitz hat echt nicht mehr alle Tassen im Schrank. Jetzt soll ich das Problem mit dem Matzen lösen.«
»Und wie?« Haie fragte sich, ob man den Besitzer des begehrten Hauses zwingen konnte, sein Eigentum an den Bauunternehmer zu verkaufen.
»Was weiß ich. Vielleicht umbringen?«
»Damit macht man keine Scherze.«
»Ich weiß.« Tom puhlte weiter an der Scheibe Brot.
»Und wenn du vernünftig mit ihm sprichst?«
»Vernünftig? Mit dem kann man überhaupt nicht sprechen. Leibnitz hat gesagt, dass er ihn am liebsten erwürgen würde.« Haie konnte sich das zwar nicht vorstellen, aber so, wie Tom momentan drauf war, brachte es sowieso nichts, mit ihm zu reden. Er vermutete, dass den Freund irgendetwas an Marlene erinnert hatte und dies der eigentliche Grund war, warum er aggressiv reagierte und gleichzeitig depressiv wirkte. Marlenes Tod hatte Tom sehr verändert. Manchmal erkannte Haie ihn nicht wieder und fragte sich, ob sich das irgendwann ändern würde.
»Niklas muss ins Bett«, bestimmte er, um der ungemütlichen Situation zu entkommen. Er nahm den Jungen auf den Arm und ließ den Freund sitzen. »Was sollen wir nur mit dem Papa machen?«, fragte er mehr sich selbst als Niklas, während er dem Kleinen einen Nachtanzug anzog. »Ich dachte, die Arbeit bringt ihn auf andere Gedanken.«
Heute brauchte es nicht einmal eine Gute-Nacht-Geschichte. Niklas schlief sofort ein. Die Sonne und das Planschen im Freibad hatten ihn müde gemacht. Eine Weile betrachtete Haie den blonden Jungen schweigend, dann schlich er nicht nur aus dem Zimmer, sondern auch aus dem Haus. Er holte sein Fahrrad aus dem Schuppen und radelte los. Raus aus der bedrückenden Umgebung, weg von der miesen Laune des Freundes. So leid es ihm auch tat, aber heute Abend konnte er Tom nicht ertragen. Irgendetwas musste sich ändern, doch er hatte keine Ahnung, wie er ihm helfen konnte. Er kam ja gar nicht richtig an ihn ran. Tom hatte in seiner Trauer eine dicke Mauer um sich herum aufgebaut. Selbst den Psychologen in der Klinik war es nicht gelungen, diese einzureißen. Sie hatten ihn lediglich einigermaßen stabilisieren können. ›Den Schritt muss er alleine machen‹, hatte die Therapeutin gesagt, als Haie sie in seiner Verzweiflung angerufen hatte. ›Mit Druck erreichen Sie gar nichts.‹ Als Tom den Job annahm, hatte Haie das als gutes Zeichen gewertet, doch nun schien der Freund erneut auf der Stelle zu treten. Er stoppte vor der Gastwirtschaft, die sich zurückgelegen an der Dorfstraße auf einem kleinen Hügel befand. Schon als er die Tür öffnete, hörte er, dass Hochbetrieb herrschte. Für einen Samstagabend nicht ungewöhnlich, denn viele andere Möglichkeiten, im Dorf auszugehen, gab es nicht.
»Moin Max, machst du mir ein Bier?«, begrüßte er den Wirt und blickte sich um. Alle Tische waren besetzt, doch für ihn als Einheimischen war es kein Problem, sich irgendwo dazu zu setzen. Schließlich kannte er so gut wie jeden.
»Na Haie, häst all hört?« Der stämmige Mann, neben den Haie sich setzte, stieß ihn leicht mit dem Ellenbogen an.
»Wat?«
»Na, vun Heinrich.« Haie nickte, runzelte dann aber anschließend gleich die Stirn, als sein Sitznachbar weitersprach. »Gut, dass wir hier so friedlich wohnen. Hamburg muss ein Moloch sein, wenn man da gleich abgemurkst wird.«
»Abgemurkst?«
Der andere nickte fleißig. »Totgehauen. Musst du dir mal vorstellen. Das hätte jeden treffen können. Also, so etwas gibt’s doch hier nicht!«
»Naja.« Haie wiegte den Kopf leicht hin und her und erinnerte die Anwesenden an die Morde im Dorf. »Is ja noch nicht so lange her.«
»Ja«, gab sein Sitznachbar zu, »aber da hatten die Täter wenigstens einen Grund. Denk mal an Kalli, den sie damals im Maisfeld gefunden haben. Der hatte das auch verdient. Aber einfach so, wildfremde Leute niederschlagen? Das machen die hier nich.« Haie sah die Sache allerdings anders. Durch seine Freundschaft zu Dirk Thamsen hatte er viel dazu gelernt – vor allem galt für ihn der Grundsatz: Nichts ist, wie es scheint.
»Aber wer sagt denn, dass der Täter keinen Grund hatte, Heinrich zu erschlagen?«
8. Kapitel
Der Pulsmesser von Thamsens Uhr schlug Alarm und
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