Friesenluege - Ein Nordfriesland Krimi
nicht, den Nachmittag mit Marlenes Mutter zu verbringen, und gab Niklas meist nur ab. Das Haus, Gesine Liebig, die Elbchaussee – alles erinnerte ihn an Marlene. Er konnte das nicht ertragen. Auch dieser Platz barg Momente in seinem Herzen, aber es ging. Es war erträglich, denn irgendwie wollte er sich den Erinnerungen stellen. Nämlich verdrängen oder vergessen konnte er sein Leben mit Marlene nicht.
»Moin, junger Mann, ist hier frei?« Vor ihm stand ein älterer Mann, der auf den freien Stuhl an seinem Tisch deutete. Das Café war gut besucht – auch in der Stadt war Saison. Tom nickte, da er annahm, der Herr wolle sich nur den Stuhl nehmen, doch wider Erwarten setzte sich der Mann zu ihm an den Tisch. »Wat ’n Volks hier. Dat wart auch jümmers mehr.« Er schüttelte leicht den Kopf, während Tom zustimmend nickte. Momentan war es wirklich sehr voll in der Stadt. Mit Bussen kamen die Leute zu den Landungsbrücken und bevölkerten Dutzende von den kleinen Ausflugsbooten, die durch den Hafen schipperten. Und auch sonst war Hamburg übervölkert, ganz besonders an der Elbe. Bei solch schönem Wetter trieb es die Leute ans Wasser. Marlenes Eltern hatten heute mit Niklas einen Ausflug zum Elbstrand geplant. »Früher war dat nicht so schlimm. Aber das wird auch immer größer hier. Allein der Hafen! Und nun bauen sie alles dicht!« Der Ältere an seinem Tisch machte eine ausladende Armbewegung und wies schließlich in Richtung der neu entstehenden Hafencity. »Früher kannte hier jeder jeden, Und nu? Allein die ganzen Auswärtigen, ts, ts, ts.« Er schüttelte den Kopf.
»Arbeiten Sie im Hafen?« Tom schaute den Mann von der Seite an. Sein Alter konnte er schlecht schätzen. Das Gesicht war faltig, wies aber eine sehr gesunde Gesichtsfarbe auf, was auf reichlich Aufenthalt an der frischen Luft schließen ließ. Seine wenigen Haare waren grau.
»Früher mal. Bin nun schon etliche Jahre in Rente.« ›Früher‹ scheint sein absolutes Lieblingswort zu sein. Die Bedienung kam, und der Mann bestellte sich ein Kännchen Kaffee. Tom orderte einen Eistee. Ihm gefiel die Ablenkung.
»Und was haben Sie da im Hafen gemacht?« Der andere musterte ihn. Er versuchte herauszufinden, ob Tom ein Tourist war, der neugierige Fragen stellte, ansonsten aber keinen blassen Schimmer von den Leuten hier im Norden hatte, oder ob er vielleicht ein Quiddje – also ein Zugezogener – war, der Interesse an seinem neuen Umfeld hatte.
»Festmacher.«
»Bestimmt ein interessanter Job.« Der ältere Mann neben ihm nickte. »Aber nicht so interessant wie meine Zeit auf See.« Der Blick des Alten schien in der Ferne zu versinken. Tom fragte sich, ob der Seefahrer nicht im Nachhinein einen etwas zu verklärten Blick auf seine Zeit an Bord eines Schiffes hatte, denn was er darüber gehört hatte, war die Arbeit dort kein Zuckerschlecken. Aber egal, schließlich waren es die Erinnerungen des Mannes – sollte er damit machen, was er wollte. Tom selbst war, was dies betraf, auch nicht immer ganz ehrlich zu sich.
»Na, Sie sind zur See gefahren. Wann denn?«
»Ach«, seufzte der Angesprochene, »das ist viel zu lange her. Damals waren das ganz andere Zeiten. In den 60ern.« In den 60ern, schoss es Tom durch den Kopf. Hatte da nicht auch Heinrich Matzen im Hafen angeheuert?
»Für welche Reederei sind Sie denn gefahren?« Der Mann drehte seinen Kopf zu ihm. Diese Fragen schienen ihm zu kennerhaft für einen Neuhamburger. Er musterte Tom noch eingehender.
»Mal für die, mal für die, zuletzt für Schneider.«
»Kannten Sie einen Heinrich Matzen?«
Der Ältere stockte plötzlich. »Jaaa!«
Toms Herz machte plötzlich einen Aussetzer. Eigentlich hatte er sich für den Mord bisher nicht allzu interessiert, doch dieser Zufall an den Landungsbrücken spornte ihn an. »Haben Sie zusammen gearbeitet?« Der Mann nickte, wartete auf eine Erklärung, in welchem Verhältnis Tom zu dem ehemaligen Seefahrer stand. Aber er hielt sich bedeckt, erwähnte nur, er hätte beruflich mit Heinrich Matzen zu tun gehabt, was nicht gelogen war. Den Mord an dem Rentner erwähnte er lieber nicht. Und anscheinend hatte der Mann nichts darüber erfahren. Was er aber wusste, war, dass Heinrich Matzen ein ganz schöner Windhund gewesen war.
»Wissen Sie, wir waren alle keine unbeschriebenen Blätter, aber der hat es meist zu doll getrieben. Da passte der Spruch, in jedem Hafen eine andere. Und wie der damit geprahlt hat.«
»Halten Sie es denn für möglich,
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