Friesenwut - Kriminalroman
nicht mehr. Selbst wenn ich das gern tun
würde!« Menno Reemts wurde von Minute zu Minute gereizter. ›Wat sall de heele
Frageree?‹, dachte er. Er musste in den Stall, melken.
»Sie wissen, dass Aldenhoff Ihre
Tochter angefahren hat?«
»Ist das nicht erst einmal nur
eine Vermutung?«, fragte Rehna mit plötzlich zittriger Stimme.
»Mittlerweile nicht mehr. Die
Beweise sind eindeutig. Es fanden sich zum Beispiel Lackreste des Fahrrades
Ihrer Tochter an der Stoßstange und der Kühlerhaube des Unfallwagens. Er hat
sie regelrecht von der Piste gefegt.«
»Bitte, Herr Ulferts, sagen Sie
das nicht so«, Rehnas Stimme wurde leiser. Und zitterte noch mehr.
»Entschuldigung, Frau Reemts, ich
wollte mich nicht lustig machen.«
»Es schien aber so, Herr
Kommissar. Sie wissen alles, was wir wissen. Mehr haben wir Ihnen leider nicht
zu bieten«, brummte Menno plötzlich und sah zunächst Ulferts, dann seine Frau
an. Letztere mit einem Blick, als wolle er sagen: ›So ist es, oder?‹ Dann fügte
er hinzu: »Ich muss in den Stall, tut mir leid. Hören Sie die Kühe? Die werden
unruhig.« Menno stand auf, reichte Ulferts, der nicht zugehört hatte, stumm die
Hand und verließ stiekum das Zimmer. Ulferts fiel auf, dass Reemts seinem Blick
auswich.
Rehna sah ihrem Mann nach –
so benahm man sich doch nicht – und wandte sich dann dem Auricher Beamten
zu: »Herr Ulferts, Menno ist sehr durcheinander, entschuldigen Sie. Mehr können
wir Ihnen wirklich nicht sagen, und es gibt heute viel zu tun.« Rehna hätte
durchaus noch etwas zu sagen gehabt, hätte gern mit dem etwas ungepflegten und
dennoch sympathischen Polizisten geklönt … doch Menno hatte so bestimmt
betont, es gäbe nichts mehr zu sagen. ›Warum nur?‹, dachte sie. Dann verließ
die ansonsten recht stark wirkende Frau mit einem Mal die Kraft für weitere
Fragen. Außerdem hatte Ulferts drei Tassen Tee getrunken. Das war
traditionelles Ostfriesenrecht. Der Gast bekommt drei Tassen, es gab kein
Anrecht auf eine weitere. Auch wenn die meisten dieses ungeschriebene Gesetz
als veraltet ansahen, war es jedem im Kopf. Außerdem wollte Rehna das Gespräch
einfach beenden, in einer solchen Situation konnte man sich darauf berufen. Sie
wollte in den Garten, sie brauchte frische Luft.
»Wie gesagt, ich wollte wirklich
keine dummen Witze machen. Nochmals Entschuldigung. Erlauben Sie mir eine
letzte Frage?«
»Ja?« Rehna sagte das so, dass
Ulferts klar wurde, dass dies wirklich die letzte Frage sein musste.
»Sie sagen, Aldenhoff habe Sie
beraten, in Bank- und Kreditangelegenheiten?«
»Sicher. Wir haben nach wie vor
einige Kredite bei seiner Bank laufen. Wenn das nur alles gut geht, die Krise
ist noch lange nicht vorbei, obwohl man uns das weismachen will!«
»Wissen Sie von anderen, die Ärger
mit ihm hatten?«
»Bestimmt – so viele Banken
stehen hier schließlich nicht rum. Menno erzählte, dass sich Marten Sommer
unheimlich über Aldenhoff aufgeregt hatte vor einiger Zeit.«
»Marten Sommer?« Ulferts horchte
auf.
»Unser Ökobauer – nee, das
soll nicht negativ klingen, er ist ein netter Kerl. Ein kleiner Hof, nicht weit
von hier, auf der anderen Seite der Landstraße, aber ein Stück davon entfernt.
Hat auf Bio umgestellt. Läuft leider nicht besonders. Hab ich ihm gleich
gesagt. Wenn der Pilz auf dem Gemüse sitzt, muss man nun mal spritzen!«
»Und warum hat er sich aufgeregt?«
»Fragen Sie lieber Menno –
aber nicht jetzt. Im Stall ist er gedanklich ganz bei seinen Kühen. Soweit ich
weiß, wollte Sommer Geld von der Bank und hat es nicht gekriegt.«
»Ah ja?«
»Allerdings – man soll nichts
über andere Menschen sagen, wenn man nicht Bescheid weiß. So entstehen nur
Gerüchte. Fahren Sie selbst zu Herrn Sommer, es ist nicht weit von hier.« Rehna
wollte nun nur noch in den Garten. Blumen gießen, ein bisschen Unkraut zupfen,
nach Pilzen auf dem Gemüse schauen. Wenns nicht anders ging, musste gespritzt
werden, dachte sie erneut.
»Vielen Dank, Frau Reemts. Ihr Tee
war übrigens ganz hervorragend!«
»Das ist nett, dass Sie das sagen«,
Rehnas Gesicht erhellte sich kurzzeitig, »tschüss.«
»Wiedersehen. Ich melde mich
wieder!«, rief Ulferts, als er das Haus verließ.
War das nun eine Drohung?, ging es
Rehna durch den Kopf. Sie war froh, für einen Moment allein zu sein. Sie räumte
die Teetassen in die Spülmaschine und verließ das Haus. Draußen, im Garten, sog
sie die gute Marschluft ein, die von Westen, von der See herkam
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