Frisch geküsst, ist halb gewonnen
nichts sehen, aber sie konnte so tun als ob.
Wenn die Operation ein Erfolg würde, könnte sie natürlich ihr Leben zurückhaben. Sie würde wieder sehen und damit tun können, was immer sie wollte. Was eine weitere große Frage aufwarf: Was wollte sie? Ihr altes, adrenalingepeitschtes Leben hatte ein bisschen von seinem Charme verloren. Aber was war die Alternative? Wollte sie immer noch aufs College gehen und versuchen, etwas Sinnvolles mit ihrer Zeit anzufangen? Und wenn sie sowieso alleine leben und aufs College gehen wollte, würde die Operation dann so einen großen Unterschied machen?
Um ihre Theorie zu überprüfen, machte sie noch mal alle Lampen aus. Die sofortige Finsternis schnürte ihr die Kehle zu. Panik breitete sich in ihr aus; sie war kurz davor, sich zu übergeben. Sie war wieder ein Kind, gefangen unter der Treppe, schreiend und schreiend, doch niemand hörte sie. Niemand machte sich die Mühe, nach ihr zu suchen. Niemand ließ sie raus.
Die Wände kamen näher. Sie konnte nicht atmen. Da waren nur die Angst und das Wissen, dass sie vollkommen alleine war.
Sie nahm einen tiefen Atemzug und schaltete das Licht wieder ein. Zitternd lehnte sie sich gegen die Wand und versuchte, sich zu beruhigen. So viel zu einer erholsamen Nachtruhe.
Sie ging aus dem Zimmer nach unten. Vielleicht würde ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft ihr helfen, sich zu entspannen.
Auf dem halben Weg durchs Wohnzimmer hörte sie ein seltsames Geräusch. Beinahe wie ein Schrei. Sie hielt inne und runzelte die Stirn, versuchte, sich die Lage der Zimmer im Haus ins Gedächtnis zu rufen. Wenn sie im Wohnzimmer stand und die Küche zu ihrer Rechten lag, dann war hinter ihr der Flur, der zu Nicks Büro und seinem Schlafzimmer führte. Sie drehte sich in die Richtung und lauschte.
Da war das Geräusch wieder. Gedämpft, aber definitiv menschlich. War das Nick? Steckte er in Schwierigkeiten?
Ihr erster Gedanke war, dass er mehr als in der Lage war, sich um sich selbst zu kümmern. Ihr zweiter war, dass sie sich davon überzeugen musste. Es war wie ein Zwang oder vielleicht einfach nur eine weibliche Marotte.
Sie ging den Flur entlang, wobei sie sich mit den Händen an der Wand entlangtastete. Sie kam an seiner Bürotür vorbei, dann sah sie Licht am Ende des Flures.
Sie öffnete die Tür, unter der der Lichtschein herausfiel, und trat in ein Zimmer, das aus ihrer beschränkten Sichtweise wie ein Schlafzimmer aussah. Sie konnte ein Bett erkennen und einige große Möbelstücke, die an den Wänden standen. Es gab einen Kamin, und vor den großen Fenstern waren die Gardinen zugezogen. Aber was sie innehalten ließ, war das Licht.
Es brannte überall. Es gab Nachttischlampen, eine Deckenleuchte und Strahler in den Ecken. Es war so hell wie mitten am Tag.
Aus Richtung des Bettes kam wieder ein Geräusch, aber welche Sorge Izzy auch immer in dieses Zimmer getrieben hatte, löste sich in Luft auf. Sie trat ans Bett und schüttelte Nick an der Schulter.
„Was machst du denn?“, sagte sie, nicht sicher, ob er schon wach war; wenn nicht, würde er es bald sein. „Der ganze Zen-Kram, den du mir erzählt hast. Große Töne von wegen, ich müsse mich an die Dunkelheit gewöhnen. Dass ich lernen muss, damit umzugehen. Und Rita mit ihrem ‘Eine gruselige Höhle nach der anderen’-Mist. Weiß sie hiervon? Du erwartest von mir, dass ich das bisschen Augenlicht, was ich noch habe, aufs Spiel setze, und selber schläfst du mit allen Lichtern an?“
Bei Izzys erster Berührung wurde Nick wach. Er setzte sich auf, während die Worte ihr aus dem Mund strömten. Er war immer noch von seinem Albtraum gefangen, nicht sicher, was real war und was nicht.
Sie war mehr als wütend. Sie funkelte ihn an, als wenn sie wünschte, ihre Augen wären Laserstrahlen, die ihn zu Asche verbrennen könnten.
„Glaub ja nicht, du kannst dich aus der Nummer hier herausreden.“ Ihre Stimme wurde lauter. „Was ist hier los? Erzähl es mir. Was zum Teufel ist hier los?“
Er sah eine Bewegung im Flur und beobachtete, wie Aaron an die Tür trat, Izzy sah und schnell wieder verschwand. Nick wünschte, er könnte auch so einfach verschwinden, aber das war nicht sehr wahrscheinlich.
„Hör auf, mich anzuschreien“, sagte er.
„Du gehst mir echt auf die Nerven.“
„Das merke ich.“
Er stand auf und ging zur Tür, die er sorgfältig schloss, bevor er sich wieder Izzy zuwandte.
Sie trug ein langes T-Shirt, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel
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