Frisch getraut: Roman (German Edition)
auf und setzte sich in seinem Hirn fest.
»Dann stimmt das Gerücht also nicht?«
»Nein«, log er, statt – sozusagen (s)ex tempore – einen Bericht seiner Nacht mit der italienischen Reporterin zum Besten zu geben. Während seine Erinnerung an Natala verblasst war, schienen die Erinnerungen an Clare im pinkfarbenen Tanga und an ihren Kuss mit jedem Tag lebendiger zu werden. Er erinnerte sich ganz genau an die weichen Rundungen ihres Körpers, die sich an ihn pressten, die Sanftheit ihrer üppigen Lippen unter seinen und die Wärme ihres feuchten Mundes. Er hatte in seinem Leben schon viele Frauen geküsst, die gut, schlecht und echt heiß darin waren, aber keine hatte ihn je so geküsst wie Clare. Als wollte sie ihm mit dem Mund die Seele aussaugen. Und das Verwirrende daran war, dass er es sogar zulassen wollte. Als sie ihm sagte, er könnte ihren hübschen kleinen Hintern küssen, hatte er genau gewusst, welche Stelle er sich vornehmen wollte.
»Ich hab gehört, du hast geheiratet«, bemerkte er, um das Thema zu wechseln und sich von Clare, ihrem strammen Hintern und ihrem sanften Mund abzulenken. »Glückwunsch.«
»Stimmt. Meine Frau erwartet in diesen Tagen unser erstes Kind.«
»Und da sitzt du hier rum und wartest darauf, mit irgendwelchen Nonnen reden zu können?«
»Ich muss schließlich unseren Lebensunterhalt verdienen.« Ein Kellner stellte Bens drittes Bier auf den Tisch und verschwand. »Du weißt ja, wie es ist.«
Allerdings. Es bedurfte viel harter Arbeit und einer Menge
Glück, um vom Journalismus leben zu können. Besonders als freier Reporter.
»Du hast noch gar nicht erzählt, was du in Kalkutta machst«, sagte Ben und griff nach der Flasche.
Sebastian setzte ihn über seine Recherchen auf der Ebene von Bihar und den neuesten Schwarzfieberausbruch in Kenntnis. Die beiden Männer unterhielten sich noch eine Stunde, dann ging Sebastian ins Bett.
Auf dem Heimflug am nächsten Tag hörte er sich die Interviews an, die er aufgenommen hatte, und machte sich Notizen. Während er eine Rohfassung schrieb, erinnerte er sich an das Elend und die Hoffnungslosigkeit, die er in den Gesichtern der Bauern gesehen hatte. Er wusste, dass er nicht viel mehr tun konnte, als ihre Geschichte zu erzählen und die Epidemie, die die Region geplagt hatte, von allen Seiten zu beleuchten. Genau wie er wusste, dass es nächsten Monat eine neue Plage und eine neue Epidemie geben würde, über die er berichten musste. Vogelgrippe, Malaria, HIV/AIDS, Cholera, Dürrekatastrophen, Hurrikane, Flutwellen, Hunger. Die Auswahl war groß. Kriege und Katastrophen waren ein nie enden wollender Kreislauf und sein ständiger Arbeitgeber. Jeden Tag brach eine neue Krankheit aus, und wenn nicht, würde irgendein kleiner Diktator, Terroristenführer oder Pfadfinder auf Abwegen irgendwo auf dem Planeten irgendein Unheil anzetteln.
Während seines zweistündigen Aufenthalts in Chicago aß er eine Kleinigkeit in einer Sportkneipe und zog seinen Laptop heraus. Wie er es in der Vergangenheit schon hunderte Male getan hatte, hämmerte er einen Anfang in den Computer, während er ein Roggenbrot mit Pastrami aß. Er musste sich ein bisschen abmühen, aber das war nichts im Vergleich zu dem,
was er bei dem Artikel über heimischen Terrorismus durchgemacht hatte.
Auf dem Flug von O’Hare holte er Schlaf nach und wachte genau in dem Moment auf, als die Boeing 787 zur Landung auf dem Flughafen Sea-Tac ansetzte. Regen prasselte auf die Landebahn, und Bindfäden aus Wasser strömten von den Flügeln der großen Maschine. Es war zehn Uhr vormittags pazifischer Zeit, als er von Bord ging, und er manövrierte sich mühelos durch den Flughafen zu seinem Landcruiser, der auf dem Langzeitparkplatz stand. Er wusste nicht, wie viele Male er mit den Jahren schon durch Sea-Tac gelaufen war. Zu viele, um sie zählen zu können, doch diesmal war es anders. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wusste er, dass dies sein letzter internationaler Flug war. Um die halbe Welt zu fliegen, um eine Story zu schreiben, reizte ihn nicht mehr so wie früher, und er musste an Ben Landis und seine schwangere Frau denken.
Als er über die Interstate 5 fuhr, setzte ihm ein kleiner lästiger Anfall von Einsamkeit zu. Vor dem Tod seiner Mutter war er nie einsam gewesen. Schließlich hatte er viele Freunde. Darunter auch Frauen, von denen er eine ganze Anzahl anrufen konnte und die sich bereitwillig mit ihm auf einen Drink und zu allem, was er sonst noch so wollte,
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