Frisch getraut: Roman (German Edition)
denn?«
»Zu einem Quickie im Gebüsch.«
So jenseits von Gut und Böse war Clare noch nicht. Sie trat ein paar Schritte zurück, lehnte sich mit dem Rücken an den Baum und atmete ein paar Mal tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie beobachtete, wie Sebastian sich frustriert die Haare raufte, und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Sie hatte Sebastian Vaughan geküsst, und so verrückt das auch klang, es tat ihr nicht leid. »Das hast du also geübt, seit du neun warst«, stellte sie immer noch leicht benommen fest.
»Das hätte nicht passieren dürfen. Sorry, aber seit der Nacht, in der du dich vor mir ausgezogen hast, muss ich ständig an dich denken. Ich erinnere mich genau, wie du nackt aussiehst, und es ist außer Kontrolle geraten und …« Er rieb sich ratlos
das Gesicht. »Das wäre nicht passiert, wenn du nicht zu weinen angefangen hättest.«
Sie zog unwillig die Augenbrauen zusammen, während sie in die dunklen Schatten starrte und mit den Fingern ihre Lippen berührte, die von seinem Kuss noch feucht waren. Hätte er sich bloß nicht entschuldigt! Wahrscheinlich sollte sie jetzt sauer, entsetzt oder abgestoßen davon sein, wie sie sich gerade aufgeführt hatten, doch das war sie nicht. Im Moment war sie weder abgestoßen noch entsetzt, und leid tat es ihr schon gar nicht. Sie fühlte sich bloß lebendig. »Du gibst mir die Schuld? Ich bin nicht diejenige, die dich gepackt hat und über deinen Mund hergefallen ist.«
»Hergefallen? Ich bin nicht über dich hergefallen.« Er zeigte anklagend auf sie. »Ich kann es nur nicht ertragen, eine Frau weinen zu sehen. Ich weiß, das klingt nach Klischee, aber es stimmt. Ich hätte so gut wie alles getan, damit du damit aufhörst.«
Sicher würde es ihr später leidtun. Zum Beispiel, wenn sie ihm bei Tageslicht gegenübertreten musste. »Du hättest mich einfach stehen lassen können.«
»Und du würdest dir immer noch die Augen ausheulen wie an dem Abend im Double Tree.« Er atmete tief durch. »Ich hab dir mal wieder einen Gefallen getan.«
»Machst du Witze?«
»Überhaupt nicht. Du weinst doch nicht mehr, oder?«
»Ist das wieder so ein Hintergedanken-Mist? Du hast mich geküsst, um mir zu helfen?«
»Das ist kein Mist.«
»Wow, wie edel von dir.« Sie lachte. »Vermutlich hab ich dich angetörnt, weil … ja, warum eigentlich?«
»Clare«, seufzte er, »du bist eine attraktive Frau, und ich bin ein Mann. Natürlich törnst du mich an. Ich muss hier nicht rumstehen und versuchen, mir vorzustellen, wie du nackt aussiehst, denn ich weiß, dass du am ganzen Körper schön bist. Daher hab ich natürlich was empfunden. Hätte ich nicht ein gewisses Maß an Verlangen verspürt, würde ich mir jetzt echt Sorgen machen.«
Sie machte sich nicht die Mühe, ihn darauf hinzuweisen, dass sein Maß an Verlangen etwa zwanzig harte Zentimeter betrug. Sie wünschte, sie könnte einen Funken selbstgerechte Entrüstung oder Wut aufbringen, aber sie schaffte es nicht. Mit nur einem Kuss hatte er ihr etwas zurückgegeben, wovon sie nicht mal gewusst hatte, dass sie es verloren hatte. Ihre Macht, mit nur einem Kuss bei einem Mann Begehren auszulösen.
»Du solltest mir danken«, verkündete er.
Klar. Vielleicht sollte sie ihm wirklich danken, aber nicht aus dem Grund, den er im Sinn hatte. »Und du kannst mir mal den Hintern küssen.« Gott, sie klang, als wäre sie wieder zehn, aber sie fühlte sich nicht so. Dank dem Mann, der vor ihr stand.
Er lachte ein tiefes, kehliges Lachen.
»Damit wir uns nicht missverstehen, Sebastian, das war keine Aufforderung.«
»Es klang aber ganz danach«, erwiderte er. Er trat ein paar Schritte zurück und fügte hinzu: »Wenn ich nächstes Mal in der Stadt bin, mache ich vielleicht Gebrauch davon.«
»Mal sehen. Muss ich dir danach danken?«
»Nein. Musst du nicht, aber du wirst.« Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und verschwand, nicht zurück zur Party, sondern zum Kutschenhaus.
Sie kannte Sebastian schon ihr ganzes Leben. Manche Dinge
waren noch genauso wie früher. Wie seine Versuche, auf sie einzureden und sie davon zu überzeugen, dass der Tag Nacht war. Ihr den größten Blödsinn zu erzählen und ihr gelegentlich ein wunderbares Gefühl zu geben. Wie damals, als er ihr gesagt hatte, ihre Augen hätten die Farbe der Schwertlilien, die im Garten ihrer Mutter wuchsen. Sie wusste nicht, wie alt sie damals gewesen war, doch sie wusste sehr wohl, dass sie noch tagelang von dem
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