Frisch getraut: Roman (German Edition)
treffen würden.
Seine Mutter war tot, aber sein Leben war in Ordnung, genau so, wie es ihm gefiel, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Doch mit jedem leisen Schlag seines Scheibenwischers kratzte sich das Gefühl ein wenig tiefer ein. Er schob es auf den Jetlag, und wenn er erst mal in seiner Eigentumswohnung war und sich ausruhen konnte, würde das Gefühl schon wieder verschwinden.
Die Eigentumswohnung hatte er sich zwei Jahre, nachdem
sein Buch die Nummer eins auf den Bestsellerlisten der New York Times und von USA Today erklommen hatte, gekauft. Das Buch hatte sich vierzehn Monate auf der Liste gehalten und ihm mehr Geld eingebracht, als er je zuvor verdient oder als Journalist je zu verdienen gehofft hatte. Er hatte das Geld in Immobilien, Luxusgüter und ein paar riskante Technologieaktien investiert, die sich gut rentierten. Dann hatte er sich wohnungsmäßig verbessert und war aus einem kleinen Apartment in Kent in die luxuriöse Eigentumswohnung im Seattler Stadtteil Queen Anne gezogen. Er hatte eine Millionen-Dollar-Aussicht auf die Bucht, die Berge und den Puget-Sund. Die zweihundertdreißig Quadratmeter große Wohnung hatte zwei Schlafzimmer mit Bädern, in denen sich außer den Duschkabinen auch eingelassene Whirlpools befanden. Alles, von den Keramikfliesen und den Hartholzböden bis hin zum eleganten Teppich und der Ledergarnitur, war in satten Erdtönen gehalten. Poliertes Chrom und Glas glänzten wie neues Geld, ein Symbol seines Erfolgs.
Sebastian fuhr seinen Geländewagen auf seinen Parkplatz und lief zum Aufzug. Eine Frau im Business-Kostüm und ein Junge mit einem Eidechsen-T-Shirt warteten an den Türen und traten mit ihm in den Fahrstuhl. »Welche Etage?«, erkundigte er sich, als sich die Türen schlossen.
»Sechste, bitte.«
Er drückte die Knöpfe für die sechste und achte Etage und lehnte sich an die Wand.
»Ich bin krank«, informierte ihn der Junge.
Sebastian schaute in das blasse Gesicht des Jungen hinab.
»Windpocken«, erklärte die Frau. »Ich hoffe, Sie hatten sie schon.«
»Als ich zehn war.« Damals hatte seine Mutter ihn mit Galmei-Lotion am ganzen Körper pink gefärbt.
Der Fahrstuhl hielt an, und die Frau legte ihrem Sohn sanft die Hand auf den Hinterkopf und trat mit ihm in den Flur. »Ich koch dir eine Suppe und bau dir vorm Fernseher ein Bett. Da kannst du dich mit dem Hund hinkuscheln und dir den ganzen Tag Zeichentrickfilme anschauen«, sagte sie liebevoll, als sich die Türen schlossen.
Sebastian fuhr noch zwei Etagen höher, stieg aus und betrat die Eigentumswohnung zu seiner Linken. Im Eingangsbereich ließ er seinen Trolley-Koffer fallen, was auf dem gefliesten Boden ein übermäßig lautes Geräusch machte. Da war nichts, was die Stille durchbrach, die ihn begrüßte. Nicht einmal ein Hund. Er hatte noch nie einen Hund besessen, nicht mal als Kind. Er überlegte, ob er sich einen anschaffen sollte. Einen bulligen Boxer vielleicht.
Das Sonnenlicht strömte durch die riesigen Fenster, als er durchs Wohnzimmer lief und seinen Laptop auf der marmornen Arbeitsfläche in der Küche ablegte. Er stellte die Kaffeemaschine an und versuchte, eine Erklärung für seine plötzliche Sehnsucht nach einem Hund zu finden. Er war müde. Das stimmte nicht mit ihm. Das Letzte, was er brauchte, war ein Vierbeiner. Er war nicht mal oft genug zu Hause, um eine Pflanze zu versorgen, von einem Tier ganz zu schweigen. In seinem Leben fehlte nichts, und er war nicht einsam.
Er trottete aus der Küche ins Schlafzimmer und dachte, es läge vielleicht an der Wohnung selbst. Vielleicht brauchte sie eine … heimeligere Note. Keinen Hund, aber irgendwas anderes. Vielleicht sollte er umziehen. Womöglich war er seiner Mutter ähnlicher, als er je gedacht hatte, und musste erst ein
Dutzend Häuser ausprobieren, bevor er eins fand, das sich richtig anfühlte.
Sebastian setzte sich auf die Bettkante und zog seine Stiefel aus; der Staub aus den Gassen Rajwaras haftete immer noch an seinen Schnürsenkeln. Er kickte seine Socken weg und nahm seine Uhr ab, dann ging er ins Bad.
Vor einigen Jahren hatte er versucht, seine Mutter dazu zu überreden, sich zur Ruhe zu setzen und in ein schöneres Haus umzuziehen. Er hatte ihr sogar angeboten, ihr etwas Neueres und Schickeres zu kaufen, doch sie hatte glattweg abgelehnt. Ihr gefiel ihr Häuschen. »Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um ein richtiges Zuhause zu finden«, hatte sie protestiert. »Ich geh hier nicht weg.«
Sebastian
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