Frisch verliebt - Mallery, S: Frisch verliebt
ist alles, was ich gelernt habe. Meine Musik ist, was ich bin. Was werde ich ohne sie sein?“
Mehr als er sagen konnte, bedauerte Wyatt, dass er das Thema angeschnitten hatte. Nun sah er sich einer offensichtlich völlig aufgelösten Claire gegenüber, und er hatte nicht die geringste Idee, was er tun oder sagen könnte. All das war ihm völlig fremd. Es war nicht nur typisch weiblich und emotional, sondern betraf auch Dinge, mit denen er selbst keinerlei Erfahrung hatte.
„Vielleicht sollten Sie, mhm, sich noch einmal an jemand anders wenden“, murmelte er. „Einen anderen Therapeuten.“
„Wahrscheinlich sollte ich es versuchen. Ich weiß nicht.“
Sie wirkte klein und gebrochen, und er fühlte sich dabei scheußlich. Am liebsten hätte er ihr in typisch männlicher Art geraten, sie solle das Problem am besten einfach ignorieren, dann würde es sich schon irgendwann von selbst lösen. Aber ihm war klar, dass ihr das nicht helfen würde.
„Ich hasse es, mich so hilflos zu fühlen“, sagte sie. „Und schwach.“
Schwach? Damit kann ich umgehen, dachte er erleichtert. Ich bin stark und zäh. Ich kann sie beschützen und ihr anbieten, zu ...
Schnell vollzog er innerlich eine Vollbremsung nebst Drehung um hundertachtzig Grad. Sie beschützen? Woher war das jetzt gekommen? Er hatte nicht den Wunsch, irgendein weibliches Wesen – außer Amy – zu beschützen. Vielleicht noch Nicole, denn sie war seine Freundin. Aber nicht auf diese romantische Art. Da ließ er sich auf nichts ein, nie und nimmer.
Sex war in Ordnung. Er liebte Sex und wünschte sich Sex. Das war etwas, das er verstand. Aber sich sorgen, mitfühlen, und überhaupt alles Emotionale? Auf gar keinen Fall. Schließlich wusste er ja, welche Katastrophen daraus erwachsen konnten. Immerhin entstammte er einer langen Reihe männlicher Vorfahren, die alle völlig versagt hatten, wenn es um Frauen ging. Drew und seine Exfrau waren da nur das jüngste Beispiel.
„Um ehrlich zu sein“, fuhr Claire fort, „Jesse hat mich genau zum richtigen Zeitpunkt angerufen. Nicht, dass ich nicht auch sonst unter allen Umständen gekommen wäre. Ganz bestimmt hätte ich das getan. Aber ich versuche gerade meiner Managerin irgendwie auszuweichen, und Nicoles Operation war für mich der perfekte Grund, einfach zu verschwinden. Finden Sie das schlimm?“
Er dachte daran, wie sie seine Tochter vollkommen akzeptiert hatte, dass sie die Gebärdensprache lernte und geduldig zuhörte, wenn Amy langsam versuchte, deutlich zu sprechen. Er dachte daran, wie sie trotz der heftigen Gefühlsausbrüche ihrer Schwester immer wieder auf Nicole zugegangen war. Er erinnerte sich, wie sie am Klavier gesessen hatte und spielte, als wäre das Spielen für sie ebenso wichtig wie das Atmen, und wie ihre Begabung und ihr Können ihn in Erstaunen versetzt hatten.
„Es ist nicht schlimm“, sagte er. „Jeder braucht einen Platz, wohin er gehen kann, wenn es im Leben einmal hart kommt.“
„Wenn man Nicole fragt, kann es in meinem Leben überhaupt nicht hart sein.“
„Sie weiß nicht alles.“
„Das glaubt sie aber.“
„Dann vertut sie sich“, sagte er und sah in ihre blauen Augen. Irgendetwas war darin. Eine Spur von Trauer, aber dann auch noch etwas anderes. Etwas, das er nicht einordnen konnte. Interesse? Leidenschaft?
Nenn’s mal lieber Projektion deiner eigenen Wünsche, sagte er sich.
Und doch ertappte er sich dabei, dass er sich tatsächlich wünschte, sie zu halten, seine Arme um sie zu legen und der Fels zu sein, den sie eine Zeit lang brauchte. Natürlich war dann auch noch der Teil in ihm, der sie liebend gern an sich gezogen und bis zum Atemstillstand geküsst hätte.
Claire lächelte. „Danke dafür, dass Sie zugehört haben. Es hat mir sehr geholfen.“
„Das ist gut. Möchten Sie zum Abendessen bleiben?“
Die Einladung war aus dem Nichts gekommen, und sie lohnte es ihm mit einem kleinen Lächeln, bei dem ihm ganz heiß wurde.
„Sehr gerne.“
Nicole versuchte sich einzureden, dass sie die Uhr keineswegs beobachtete, denn was sollte sie es schon interessieren, wenn Claire ziemlich lange dazu brauchte, Amy zu Hause abzuliefern. Selbstverständlich machte sie sich deshalb überhaupt keine Sorgen oder auch nur Gedanken. Claire bedeutete ihr gar nichts.
Als aber die Uhr im großen Wohnzimmer immer weitertickte, wurde sie dann doch langsam nervös und fing an, über Unfälle und Autoentführungen nachzudenken.
„Du bist wirklich doof“, schimpfte sie
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