Friss oder stirb
gezielt stärken, reaktivieren und wiederaufbauen. Dass wir es derzeit mit einer Übermacht der zentralistischen Lebensmittelkonzerne und der Industrie zu tun haben, unter deren Druck die meisten unabhängigen regionalen Strukturen zerstört wurden, bedeutet noch lange nicht, dass diese Entwicklung irreversibel ist. Ganz von allein – wie aus magischer Hand – werden sich die in Mitleidenschaft gezogenen dezentralen Strukturen zwar nicht wieder erholen, aber mir schwebt zur Lösung des Problems die Einschaltung eines besonderen Experten vor, eines schlafenden Riesen: Dieser Experte sind Sie, liebe Leserin und lieber Leser!
VI. Den schlafenden Riesen wecken
„Der schlafende Riese Konsument erwacht und verwandelt den Kaufakt in eine Abstimmung über die weltpolitische Rolle der Konzerne, durch die er diese mit ihren eigenen Waffen – Geld und Nichtkauf – schlägt.“ [50]
(Ulrich Beck, Soziologe und Buchautor)
Kritische Konsumenten sind wichtig
Nun gut, aufzuzeigen, dass ein dezentrales Lebensmittelsystem großes Potenzial hat und zahlreiche brisante gesellschaftliche Probleme lösen würde, ist eine Sache. Die Umsetzung ist eine andere. Supermärkte und Discounter sind ungeeignet, von der Zentralisierung, vom Diktat des Wachstums und des Größerwerdens auf Dezentralität und Kleinstrukturiertheit umzusteigen, zumal diese auch dem Streben nach höchstmöglichem Profit entgegenstünden. Supermärkte und Discounter sind förmlich das Problem. Sie werden uns immer und immer wieder das Märchen auftischen, dass nur sie – die großen Handelskonzerne gemeinsam mit der „glorreichen“ Lebensmittelindustrie – die Menschheit ernähren könnten.
Wir wissen nun, dass dieses Märchen nicht stimmt. Wir wissen, dass die Konzerne auf solch eine Weise wirtschaften, durch die die Hälfte unserer Lebensmittel einfach weggeworfen oder als Heizmaterialien verwendet wird. Wir wissen, dass sie die Märkte in den Ländern des Südens durch den Export billiger Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie überfluten, und wir wissen auch, dass sie ihre verschwenderische Überschussproduktion durch Werbung sogar noch ankurbeln.
Die Frage ist aber: Was ist unsere Rolle als Konsumentinnen und Konsumenten in diesem Geschehen, und wie weit geht unsere eigene Macht – trotz der Macht der Supermärkte? Welche Kräfte schlummern in uns und wie können wir ihnen zum Durchbruch verhelfen?
Die Werbung – auch die der Lebensmittelkonzerne und sogar die der Bio-Industrie – setzt ja bekanntlich auf das Paradigma des „manipulierbaren Konsumentengehirns“. Würde man der Fachliteratur für Werbung glauben, dann hätten wir, die Verbraucherinnen und Verbraucher, in unseren Gehirnen Schalter und Hebel, die sich durch die Werbung umlegen ließen. Deswegen definieren die Marketingfachleute Zielgruppen und spielen diesen genau jene Werbereize vor, von denen sie aus wissenschaftlichen Studien und Umfragen wissen, dass sie in der jeweiligen Gruppe gut ankommen. Im Marketing für biologische Lebensmittel haben es die Konzerne beispielsweise auf die LOHAS und die DINKS abgesehen.
„LOHAS“ steht für „lifestyles of health and sustainability“, fasst also jene Konsumenten zusammen, die einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil praktizieren möchten. Die DINKS stellen in erster Linie eine Einkommensgruppe dar. Sie verfügen über „double income – no kids“, also über zweifaches Einkommen und haben keine Kinder. Auf solche Paare hat es die Industrie mit ihren sogenannten „Premium-Marken“, wozu die meisten Bio-Marken zählen, stets abgesehen.
Für die moderne Wissenschaft des sogenannten „Neuromarketings“ werden Versuchspersonen sogar unter Gehirn-Scanner gelegt, weil man herausfinden möchte, durch welche Werbereize das Belohnungszentrum im menschlichen Hirn am stärksten stimuliert wird. Mit diesen Reizen will man dann den „Autopiloten aktivieren“, wie es in der Werbebranche tatsächlich heißt. Dieser nämlich „navigiere“ uns in den Supermarkt und bringe uns dort zum Kauf. Ein derartiges Menschenbild fußt auf einer zutiefst materialistischen, reduktionistischen Weltsicht, in der wir zu manipulierbaren Biorobotern degradiert sind. Aus Sicht der Konzerne hat ein Mensch dann einen Nutzen, wenn er ein „williger Konsument“ ist.
Doch der Mensch ist mehr als sein Gehirn. Selbst die am raffiniertesten ausgeklügelte Manipulation durch Werbung und PR wird letztlich dem erwachenden Konsumentenbewusstsein unterliegen.
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