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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Manche Mütter sagten nichts, um ihre Tochter zu schonen. In solchen Fällen des Verstummens schrieb diese Frau Klein in einem neuen Gutachten, sie könnte keine traumatische Störung feststellen. Obwohl entsprechende Atteste vorlagen. Es gab Fälle, wo Frauen, die Schlimmes erlebt hatten, mit Handschellen in die Abschiebehaft kamen. Die kleine Tochter, die das Elend der Mutter übersetzen sollte und es nicht schaffte, kam in ein Pflegeheim bis zur Abschiebung. Was geht in dem Kind vor? Viele Frauen schämten sich einfach, von ihrem Schicksal zu erzählen. Sie bekamen keine Duldung mehr, weil sie schwiegen. Wer schweigt, dem fehlt auch nichts. Fertig. Sie mussten Deutschland verlassen. Jeder Arzt weiß, dass es ein langer Weg ist, bis gequälte Menschen über ihre Qualen berichten. Frau Klein genügte eine halbe Stunde. Höchstens. Sie ist krank. Eine ekelhafte Sadistin.«
    Sie schaute auf die Uhr und sagte etwas auf Türkisch zu ihren Nachbarn. »Wir müssen leider los. Frau Klein ist nun weg. Das ist ein Segen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ach ja. Vielleicht hilft es Ihnen weiter. Erkundigen Sie sich nach einer Frau Doktor Vogelweide.« Den Namen kannte ich aus den Gutachten, die mir die Rothaarige zurückgelassen hatte.
    Die Drei erhoben sich von ihren Stühlen. Die alte Frau schnatterte plötzlich leise vor sich hin. Sie war offensichtlich aufgeregt. Der Alte sagte gar nichts. Er rückte nur sein rundes Käppi zurecht. Mich würdigte er keines Blickes. An der Tür drehte sich das Mädchen zu mir um und winkte.
    »Viel Glück«, rief ich. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich musste es mir eingestehen.

7
    Im ›Dollinger‹ musste ich mir erst mal einen genehmigen.
    »Doris, einen Soda Campari mit Eis und Zitrone.« Für heute hatte ich die Nase voll.
    Zur Frau Doktor Vogelweide würde ich erst morgen gehen. Ihr Name war vermerkt auf den fachärztlichen Gutachten traumatisierter Patienten, die mir die Rothaarige gegeben hatte. Die Telefonnummer war auch vermerkt. Gleich mal anrufen. Vielleicht konnte sie morgen ja gar nicht. Zu einem Richter von der 35. Kammer des Amtsgerichts, der in den Dokumenten ständig genannt wurde, wollte ich auch noch gehen. Ein Freund von Martha Klein war er nicht. Sie hatte sich eine blutige Nase bei ihm geholt. Ich schaute die Leonhardtstraße runter. Ich konnte das Amtsgericht sehen. Es waren keine 500 Meter bis dahin. Doris brachte den Campari. Er leuchtete rubinrot. Es war drei Uhr nachmittags. Ich trank einen Schluck. Den Richter konnte ich noch schaffen. Wollte ich überhaupt? Ich wollte nicht. Um drei Uhr nachmittags richtete sowieso kein Richter mehr. Auch ihn würde ich anrufen. Morgen. Morgen ist immer ein guter Tag. Ich rufe beide morgen an. Heute war ja fast vorbei. Da passte nichts mehr rein. Die Tagestüte war proppenvoll.
    Mir fehlte völlig der Durchblick. Ich sah nur lose Enden, die ich nicht verknüpfen konnte und die wie unvertäute Seile in meinem Kopf hin und her baumelten. Das verunsicherte mich. Ich wollte immer den Überblick haben. Ich dachte an den Priester und an meine Mutter, die mir wie die Karten beim Pokern nach einem 30-jährigen Pokerspiel von der Rothaarigen auf den Tisch geworfen wurden. »Full House«, riefen die Karten und amüsierten sich. Ich hatte nicht mal ein Pärchen. Ich war ja von Kindesbeinen an trainiert auf unvorhersehbare Attacken. Die Attacken meiner Mutter waren unkalkulierbar. Das förderte meine Einfühlung in sie. Ich musste ihr immer einen Tick voraus sein. Besonders, wenn sie ihren geliebten Cognac süffelte. Und sie ihren seltsamen Blick bekam. Was könnte sie jetzt wollen, rätselte ich fieberhaft.
    »Kannst du schon knutschen?«, fragte sie einmal.
    »Natürlich«, sagte ich prompt.
    »Kannst du nicht. Das wüsste ich doch. Komm zu mir. Nein, ich komme zu dir.«
    Sie erhob sich vom Sofa. Ich saß auf einem Stuhl. Sie setzte sich auf meinen Schoß und schob mir ihre Zunge in den Mund. Mit der wedelte sie in meinem Mund und die Zunge wurde mal länger und mal kürzer. Ruckartig raus und rein.
    »So geht das«, sagte sie und ihr Hintern wand sich in kleinen Drehungen, hin und her, in meinen Schoß. Dann war wieder die Zunge an der Reihe. »Weißt du es jetzt?«, fragte sie und setzte sich wieder auf das Sofa.
    Ich konnte jetzt nicht aufstehen, ohne dass sich die Hose unübersehbar wölbte. Ich war auf den Stuhl gefesselt. Das konnte lange dauern, bis die Hose wieder glatt war. Ich musste auf der Hut sein. Besser aufpassen. Ihre

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