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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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immer alle Einladungen annahm. Ich konnte nicht › nein ‹ sagen. Manchmal hatte ich mehrere Einladungen am gleichen Abend. Ich sagte dann mit den unterschiedlichsten Entschuldigungen reihenweise ab. »Leider ist mein Onkel gestorben.«
    So viele Onkels, wie ich sterben ließ, hatte ich gar nicht.
    »Ist nicht neulich erst dein Onkel gestorben?«, fragte eine enttäuschte Gastgeberin.
    »Das war sein Bruder.«
    »Wie furchtbar«, sagte die Gastgeberin.
    »Zwillinge.«
    »Also genetisch bedingt.«
    »Wahrscheinlich. Beide Herzinfarkt.«
    Ich bin nie hingegangen zu einer Einladung. Entweder spontan oder gar nicht.
    »Sehen Sie etwa einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden von Frau Klein aus Berlin und den Beschreibungen der dramatischen Veränderungen in Schlabbach, die Herr Nemec geliefert hat? Nur weil beides zeitlich zusammenfällt?«
    »Ja, ich glaube das.«
    »Wieso das denn?«
    Mein Glas war schon wieder leer. Ihres auch. Ich bestellte noch zwei Gläser.
    »Weil zwei Herren bei Nemec vorstellig wurden, die ihn detailliert über das Flüchtlingslager ausfragten. Er erzählte ihnen von den Veränderungen. Raten Sie mal, nach wem sie fragten? Nach Martha Klein.«
    Jetzt war ich ja doch leicht von den Socken. Bernd brachte die Grauburgunder. Ich brauchte einen kräftigen Schluck. Die beiden Schnüffler vom BND waren unterwegs. Wollten wohl rausfinden, was Nemec bereits wusste, was er eigentlich nicht wissen durfte.
    »Halten Sie es immer noch für unmöglich, dass Martha Klein in Schlabbach tätig ist?«
    »Was hat er sonst noch geschrieben?«
    »Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört.«
    Wir schwiegen und süffelten an unserem Wein. Da saß die zweite Frau vor mir innerhalb von zwei Tagen, die mich verwirrte und beeindruckte. Aber ganz anders als die Rothaarige. Die hatte den erotisierenden Krallenblick, dem ich nie entkam, weil ich ihm seit meiner Kindertage bis zur Erschöpfung verfallen war. Ich konnte mich wehren, wie ich wollte. Keine Chance selbst bei hellstem Verstand. Das waren keine Begegnungen, das waren Unterwerfungen und ich ständig auf der Flucht und auf der Suche danach. Beides gleichzeitig. Doppelt genäht hält besser, hatte immer meine Großmutter gesagt. Von falsch rum doppelt genäht hatte sie nichts gesagt. Mein Selbst war falsch und richtig zugleich und wiederum weder das eine noch das andere.
    Meinetwegen konnten wir die ganze Nacht im ›Dollinger‹ sitzen bleiben und kühlen Grauburgunder trinken. Einfach dasitzen. Kleine, unbedeutende Sachen machen. Anstatt über Martha Klein zu reden.
    »Wie erreiche ich Sie denn?«, fragte sie.
    »Gleich hier um die Ecke. In der Leonhardtstraße 7. Wo der Weinladen ist. Im Hinterhaus. 2. Stock.«
    »Den Laden kenne ich. Bruderhertz. Da könnte ich mich mal eine Nacht lang einsperren lassen.«
    Mit Ihnen, hätte sie ruhig sagen können.
    »Keine schlechte Idee«, stimmte ich zu.
    »Vielleicht kommen Sie ja zufällig vorbei.«
    Für den Zufall würde ich Schlange stehen, hätte ich am liebsten gesagt, traute mich aber nicht.
    »Er hat auch guten Schinken.«
    Claus hatte gar keinen Schinken. Er hatte Pasteten in Gläsern. Entenpastete, Fasanenpastete.
    »Pasteten hat er«, prahlte ich. »Und Knäckis. Verhungern würden wir nicht. Und so dicke Salzstangen. Ich glaube, auch Nüsse.«
    Was redete ich da für einen Unsinn? Er hatte gar keine Nüsse.
    »Haben Sie eine Telefonnummer?«
    Ich gab ihr meine Handynummer.
    »Ich muss jetzt leider los«, erhob sie sich, »mich duschen. War doch eine lange Radtour. Fahren Sie Rad?« Sie setzte ihren Helm auf und verwandelte sich wieder in die Schwester vom Zwerg Alberich. »Wenn Sie mehr wissen, sagen Sie mir Bescheid. Ich habe den Eindruck, Sie haben mir ohnehin nur die Hälfte erzählt. Ach, ich muss ja noch bezahlen.«
    »Das mache ich.«
    »Danke.«
    Sie verabschiedete sich mit einem kräftigen Händedruck. Das Rücklicht ihres Fahrrades verschwand in der Nacht zwischen vielen anderen Rücklichtern.
    Ich zahlte bei Bernd und schlenderte über den Stutti. Die Lokale waren immer noch proppenvoll. Ich ging rüber zum Spanier. Da saß eine ganze Corona. Paul mit seinem Weißschopf hielt mal wieder eine Frau im Arm, die ihm das Knie umspielte. Er hatte immer etwas zum Spielen. Manchmal saßen an seinem Tisch nur Gespielinnen, die ihm das momentane Spielglück nicht verübelten. Wie machte er das nur?
    »Hallo«, sagte ich und bestellte einen Rotwein, den ich aber nicht trank, weil er zu schlecht war.

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