Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
schuppig. Der Mann ist krank. Sehr schlapp. Die Braut stand unter Medikamenten. Sie war extrem verlangsamt. Ich sah es an ihren Augen. Fritz, mir macht das Angst. Da passieren sehr merkwürdige Dinge.«
Sie war beunruhigt. Das war ich auch. Ich erzählte ihr nichts von dem Chefarzt. Ich hatte einen Verdacht, mit dem ich sie nicht noch mehr in Unruhe versetzen wollte. Ich hatte schon immer eine rege Fantasie. Das ganze Ambiente, diese gewaltige Halle, die Pranke von Mlasec, der dem Mädchen den Hals zu brechen drohte, die elektrische Kleinbahn, das unglückselige Brautpaar, die Anwesenheit des Priesters, mein hysterischer Lachanfall, das alles war derart schräg und unwirklich, dass ich nur einen Gedanken hatte: Die Braut war das Lamm, das man in der Bunkerkapelle schlachtete und dem Bräutigam opferte. Der nahm von dem Lamm die Innereien und genoss.
17
Barbara hatte mich in Schlabbach abgesetzt. Ich hatte das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Normalität und steuerte den Biergarten des › Goldenen Ochsen ‹ an. Auf dem Weg dahin warf ich einen Blick ins Café. Es war gut besucht, Rosi aber war nicht zu sehen.
Martin Degrange winkte aus dem Biergarten. Der war jetzt der geeignete Partner. Ein normaler Mensch mit einem Weinglas vor sich, gefeit vor den Gemeinheiten überfallartiger Überraschungen. Die Luft war lau. Von Ferne hörte ich einen Kuckuck. Eine Sternschnuppe ging nieder. Der Kitsch war greifbar und beruhigte mich. Es fehlten nur noch die Gartenzwerge.
»Komm zu mir.«
Ich setzte mich ihm gegenüber auf die Bank und legte die Arme auf den Tisch.
»Unn?«
Unn ist die saarländischste, die komprimierteste aller saarländischen Redewendungen. In der Frage Unn?, in diesen drei Buchstaben, wird ein ganzer Lebenskosmos abgeschritten. Im Unn? gerinnt das Leben zur Wesenheit. Unn? ist das Seiende. Unn? ist alle Existenz, und kann soviel heißen wie: Wie geht es dir, wann stirbst du, wie geht es deiner Familie, hast du ein gutes Geschäft gemacht, die Welt ist unendlich, das Leben ist grausam, pump mir mal 50 Euro, ich muss mich besaufen, Scheißweiber, schuld an allem sind die Scheißpolitiker, der 1. FC Saarbrücken steigt nie wieder auf, und überhaupt.
»Ei jo.«
Das war die perfekte saarländische Antwort von mir. Auf Unn? kam immer Ei jo. Ei jo hieß, der im Unn angesprochene Kosmos ist unverrückbar. Weil er im Ei jo als unverrückbar bestätigt wurde, konnte man jetzt, nach der Vergewisserung, die immer wieder aufs Neue unabdingbar war und unbedingt geleistet werden musste, zuverlässig über den Kosmos schwätzen. Der Saarländer, ein durch seine Geschichte misstrauisch und ängstlich gewordener Mensch, wusste nie, ob er dieser Unverrückbarkeit wirklich trauen konnte. Daher erfand er dieses wunderbare Wortpaar von Unn? und Ei jo, das dem Saarländer, einen zutiefst wertetreuen Menschen, immer wieder aufs Neue sein Urvertrauen ins irdische Glück schenkte. Dann konnte der Saarländer seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Feiern. Unn? und Ei jo waren das Fest einer ständigen Wiedergeburt, die Überwindung aller Zweifel und insbesondere der berüchtigten Flemm, einer Art Weltschmerz, den näher zu definieren bislang niemandem gelungen war. Ei isch hann die Flemm! Der Saarländer konnte die Flemm fühlen und in ihr aufgehen wie Hefeteig, sagen, was sie war, konnte er nicht.
Martin schaute mich überrascht an. Fixierte mich.
»Saa nur.«
Jetzt waren die Worte gefügt. Saa nur ist das Amen. Alles war so, wie es jeher war. Jetzt konnte nichts mehr passieren. Jetzt konnte man, in tiefer Gewissheit alles Saarländischen, das ewig währen würde, zumindest für diesen Moment, unbeschadet reden und sich ungefährdet austauschen.
Martin hatte diesen Gesprächsverlauf nicht erwartet. Er wusste ja nicht, dass ich Saarländer war.
Wir schwiegen.
Eine adrette Bedienung kam. Ich bestellte einen Riesling und ein Blech Zwiebelkuchen.
»Unn?«, forderte ich ihn auf, nun doch konkreter zu werden.
»Was willst du denn wissen?«
»Was ist mit Rosi?«
»Ach, das Rosi. Ja, mein lieber Mann. Nichts ist mit dem Rosi. Es kam völlig verheult an. Jemand hätte die Berichte in ihrem PC gelöscht.«
»Nimmst du ihr das ab?«
»Ja. So abgebrüht ist die nicht. Da hat sich jemand vorsätzlich an ihrem PC zu schaffen gemacht. Sie schwört Stein und Bein, dass sie die Berichte nicht gelöscht hat.«
»Und wann soll dieser Unbekannte am Werk gewesen sein?«
»Das weiß sie nicht. Sie hätte schon länger nicht
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