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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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kam Freund Bruno an den Stempel einer nicht mehr existierenden Firma, einer Kompensations- und Warenverkehrs-Gesellschaft, kurz KOWAG genannt. Das klang respektgebietend undeutlich. Die beiden ließen die Firma wieder aufleben, bezogen Geschäftsräume in einer zerstörten Molkerei an der Adalbertstraße nahe der Universität und beantragten korrekt die Genehmigung zum Wiederaufbau des Gebäudes bei der Stadtverwaltung.
    Die KOWAG war wieder da.
    Was aber sollte sie volkswirtschaftlich Wichtiges tun? Aus der Zeit im Chiemgau wußte Bruno Siegel von einer Seifenfabrik in Halfing. Dort war ein alter Freund nach dem Nazi-Besitzer als Treuhänder eingesetzt worden. Die Produktion ruhte, weil es an Rohstoffen fehlte, an Fett vor allem. Wie dem abzuhelfen sei, besprach Bruno mit einem weiteren Bekannten, einem Chemiker. Der mußte es wissen und wußte es. Sowohl wie, als auch wo. Verseifung von Eiweiß aus Käseabfällen, Käserinden und verfaultem Käse aus Allgäuer Käsereien.
    Der Einfall wurde auf einen amtlichen Namen getauft. MRV, Milch-Rückstände-Verwertungs-Gesellschaft und registriert. Zwei Firmen — das klang volkswirtschaftlich schon sehr wichtig. Auch die für ein seriöses Unternehmen unerläßliche Geschäftsadresse fand sich. In Räumen einer ehemaligen Munitionsanstalt vor der Stadt. Damit stand die Organisation.
    Die KOWAG sollte vertreiben, was die MRV bei dem Treuhänder-Freund in Halfing herstellte: Ersatz-Seife. Mit Betonung auf Ersatz. Die Behörden gestatteten dem volkswirtschaftlich wichtigen Verbund, einen Lastwagen zuzulassen. Mit offizieller Benzinzuteilung.
    Aus dem Allgäu rollten die Käserückstände ins Lager der MRV und von dort zur Weiterverarbeitung in den Chiemgau. Wie überall gab es Schwierigkeiten. So konnte das Lager der MRV ohne Gasmaske nicht betreten werden. Die Käserückstände stanken nicht nur, sie wimmelten obendrein von Maden. Die Geschäftsleitung wußte sich zu helfen. Ohne eine neue Firma zu gründen, wurden die Käseabfälle in einer Hühnerfarm zwischengelagert, wo sich das Gackervieh mit dem weißen Gewimmel selber mästete. Volkswirtschaftlich ein weiterer Pluspunkt!
    Erst nach Entmadung gelangte das Stinkgut zur Verseifung nach Halfing. Leider änderte der nützliche Umweg nichts daran, daß sich der Seife, auch mit chemischem Raffinement, ein gewisser Käseduft nicht abgewöhnen ließ. Scherzhaft nannten die Bosse ihr Produkt Savon Romadur. Es schäumte recht schwach, doch das war 1946 kein Hindernis für den Verkauf.
    Um nicht nur auf einem Käsefuß zu stehen, drängte Bruno Siegel den Chemiker, ein weiteres Ersatzprodukt zu entwickeln. Rohstoffe und Anlagen ermöglichten die Herstellung eines Scheuerpulvers. Sie füllten es in Papiertüten und tauften es auf den Namen Purit.
    Das Mittel wirkte. Reinigend wie gewinnbringend. Mit Purit säuberten sie die Geschäftsräume der KOWAG vom Dreck, den der Ausbau hinterlassen hatte. Das Haus war, dank aller Tatkraft, wieder voll bewohnbar. Ein Jahr nach Instandsetzung kam ein Brief von der Stadtverwaltung. Er enthielt die definitive Ablehnung des Antrags auf Wiederaufbau. Noch heute steht das Haus unverschandelt. Ohne die illegale Aktivität wäre die alte Fassade höchstwahrscheinlich Opfer fragwürdiger Modernisierung geworden.
    Die legalen Aktivitäten der Brüder Siegel blühten. Der Altere erfreute die Menschen in seinem Theater, der Jüngere sorgte für Ersatz-Sauberkeit. Als man 1948 von der bevorstehenden Geldumstellung munkelte, überlegten beide, wie die verdiente Mark am besten anzulegen sei.
    Ein Geheimtip lautete: Gräber kaufen!
    Von der Stadt aufgelassene Gräber für Reichsmark aufkaufen und sie nach der Währungsreform der Stadt gegen harte D-Mark wieder anbieten.
    Das makabre Grundstücksgeschäft schien den beiden nicht sicher genug. Bei Behörden muß man immer mit Willkür und Sonderregelungen rechnen. In diesem Fall mit Grabenteignungen.
    Statt also letzte Ruhestätten en gros zu erwerben, versuchte Bruder Ralph-Maria, sein Geld in damals sehr gesuchtem Hartmetall anzulegen. Kein leichtes Unterfangen in diesen letzten Tagen vor der Wende. Jeder halbwegs Geschäftstüchtige sah zu, bizarre Vorräte in Geld umzuwandeln, um damit später Brauchbares zu kaufen.
    Das Geschäft scheiterte an einer heute absonderlich anmutenden Bedingung: Das Hartmetall sollte nur derjenige bekommen, der zusätzlich und gegen gesonderte Bezahlung zehntausend Stück Zelluloidkragen für Feldgeistliche übernahm. Die

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