Fröhliche Zeiten
nicht. Durch Handschlag sah ich mich brotlos engagiert.
Im Studio stellte mir Hellberg den Nachwuchs vor. Dann verließ er uns. Außer Atemfahnen und verstockten Blik-ken schlugen mir dumpfe Was-will-denn-der-Wellen entgegen. Mit Kabarettspäßen stemmte ich mich dagegen, wie bei trägem Publikum. Das half. Wir fanden einen lockeren Ton miteinander und machten uns vergnügt an die Arbeit. Kritik verpackten wir in Scherze. In beiden Richtungen. Die gute Stimmung förderte Einfälle. Waren sie brauchbar, bauten wir sie ein. Manchmal vergaßen wir darüber das Mittagessen.
Es ließ sich gut an, wie man sagt. Natürlich sagte das niemand, abergläubisch wie man ist beim Theater. Obwohl wir nichts beschrien , machten gewisse Umstände aus unserem Schwank alsbald einen Krimi. Am 15. Februar 1949 lasen wir’s in der Zeitung:
Martin Hellberg in die Ostzone geflüchtet!
Der Intendant war entkommen. Was nun? Da er in unserem Stück nicht mitspielte, berührte uns sein Verschwinden zunächst nicht. Wir machten weiter. Doch die Schulden, die er hinterlassen hatte, holten unsein.
In Mänteln, mit Mützen und Shawls probierten wir auf der Bühne eine sommerliche Atelierszene. Die Einrichtung, Bett, Schrank, Tisch, Küchenherd, Staffelei war mit Biergartenstühlen angedeutet. Mitten in der Probe quietschte hinten die Saaltür; Männer kamen herein. Ohne Gruß, ohne Entschuldigung fingen sie an, die in Reihen aufgestellten Zuschauersitze hinauszutragen. Da sie ihre Arbeit stumm verrichteten, ließen wir uns nicht stören.
Vielleicht hatten wir eine neue Direktion und der Parkettboden sollte abgezogen werden. Nötig war’s dringend. Niemand fiel aus seiner Rolle, niemand schaute zwischendurch privat hinunter. Langsam fraß sich der Abbau bühnenwärts. Ich saß auf meinem Regieplatz in der fünften Reihe.
»Entschuldigung«, sagte eine Stimme.
Ohne das Geschehen auf der Bühne aus dem Auge zu lassen, stand ich auf und setzte mich in die vierte Reihe.
»Entschuldigung«, sagte kurz darauf eine andere Stimme. Wieder stand ich auf, nahm einen Stuhl aus der dritten Reihe und ließ mich im schon geräumten Feld nieder. Nur fünf Sekunden beeinträchtigten die Atemfahnen der Stühleschlepper meinen Blick zur Bühne. Dann war der Saal entstuhlt. Äußerlich ruhig wartete ich schon auf lautstarke Reinigungsmaßnahmen, vernahm aber stattdessen nur ein leises »Entschuldigung«.
Aha! Mein Stuhl stand im Weg. Man wollte wohl flüssig Vorgehen. Um so besser, weil leiser. In einer Pfütze stehend konnte ich mich immer noch konzentrieren. Der Stuhl war schon weg. Das Geschehen auf der Bühne fest im Blick, sah ich, wie ein Mann von der Seite hinaufkletterte. Wortlos trat er in die gerade sehr heftige Szene, packte die vier Stühle, die das Bett darstellten und wollte sie wegtragen.
»Moment !« unterbrach ich. »Das geht zu weit. Sie können nicht einfach die Dekoration abbauen. Wir probieren hier ein Stück .«
»Das geht mich nix an«, antwortete der Mann sehr richtig, »wir holen nur die Stühl’ ab .«
»Verschwinden die auch in die Ostzone ?« alberte einer der Schauspieler.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nur zum Gerichtsvollzieher.«
Die Berufsbezeichnung beendete wie ein Stichwort die Probe.
»Mahlzeit«, sagte eine Schauspielerin.
Im Wilhelm Tell, der nächstgelegenen Wirtschaft, berieten wir bei Stammgericht auf Marken, was zu tun sei. Da es nur zwei Möglichkeiten gab, einigten wir uns schnell: Weitermachen.
Am nächsten Vormittag probten wir ohne Stühle. Zeitungen auf dem Boden deuteten die Konturen der Einrichtung an, damit Stellungen, Gänge und Bewegungen stimmten. Wer sich auf ein Stichwort zu setzen hatte, blieb mit gebeugtem Rücken stehen und kündigte an: »Ich sitze .«
Lang saßen wir nicht auf diese Weise. Bereits am folgenden Morgen standen wir vor verschlossener Tür. Das Theater hatte sich verflüchtigt. Wir nahmen die neue Schwierigkeit leicht. Sie kam nicht gerade wie gerufen, aber doch als nette Gelegenheit, einander unsere Zielstrebigkeit zu beweisen.
Über einen Mediziner-Freund fanden wir eine Probebühne von geeigneten Abmessungen: einen Hörsaal in der Universitätsklinik, mit steil ansteigenden Sitzreihen. Sogar Dekorationsstücke waren vorhanden. Eine Tragbahre als Bett, ein Rollstuhl als Sessel, ein Medikamentenwagen als Tisch. Es roch keimfrei, aber nicht störend für künstlerische Entfaltung.
Am zweiten Tag plötzlich Türquietschen — die fettlosen Zeiten wirkten noch nach. Mit
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