Fröhliche Zeiten
drohender Atemwolke vor Mund und Nase erschien eine Putzfrau, entschlossen, uns an die unwesentlich kühlere Außenluft zu setzen. Mein Versuch, ihr die Rolle des Mäzens aufzudrängen, der immer ein Plätzchen für die Kunst hat, scheiterte am hohen Berufsethos. Unsere Fußspuren auf dem Bodenbelag seien bei der knappen Zuteilung an Putzmitteln nicht mehr zu tilgen.
Ein flugs zusammengerafftes Trinkgeld verschaffte ihrem Blickwinkel Weite. Die Spuren, erkannte sie, konnten auch von Studenten stammen. Doch schon brauten sich neue Schwierigkeiten zusammen. Unser zweckentfremdendes Treiben blieb nicht geheim. Die jungen Schauspieler versäumten es, vor und nach der Probe junge Mediziner glaubhaft darzustellen. Albernd zogen sie durch die Korridore. Eine Hausmeisterseele fühlte sich gefordert und sperrte uns aus.
»Probieren wir halt im Englischen Garten«, sagte einer mit unbeschädigtem Optimismus.
Der Vorschlag gefiel. Die Zeit, da Deutsche nicht in Gruppen zusammenstehen durften, war vorbei, die nötige Dekoration ließ sich im Freien aus Schnee aufhäufen. Um Menschenansammlungen zu vermeiden, verlegten wir die letzte Probebühne dann doch in den Garten eines Privathauses. Hier quietschte keine Tür, und selbst dichtes Schneetreiben behinderte das Ringen um letzte Feinheiten in Ton, Ausdruck und Geste nicht. Bis die Inszenierung stand.
Nun fehlte wieder ein Innenraum, erträglich temperiert, um Zuschauer unabgelenkt zu unterhalten. Genauer ein Theater mit Bühne, Licht, Dekoration, mit Kostümen und einem Vorhang, mit allem, was zu einem spielfertigen Haus gehört.
Als ehemaliger Regieassistent an den Münchner Kammerspielen fand ich mit meiner Bitte, uns das alles für einen Abend zur Verfügung zu stellen, bei jedem, den es anging, Verständnis. Die Geschichte dieser Inszenierung, die Tatsache, daß Nachwuchsschauspieler über Nacht mit gelerntem Text auf der Straße standen, im Schnee, weil der Intendant sie im Stich gelassen hatte und jetzt eine Gelegenheit suchten, sich vorzustellen, um wieder Anschluß zu finden, entsprach so genau der überkommenen bürgerlichen Vorstellung vom obligatorischen Leidensweg junger Künstler, daß Rührung sich einstellte, selbst bei verhärteten Herzkranzgefäßen.
Aus dem Abend wurde ein Nachmittag im Theatersaal der Otto-Falckenberg-Schauspielschule. Kostümiert, unter Scheinwerferlicht, schwitzten die wetterharten Talente erstmals in ihren Rollen. Auch Lampenfieber trug dazu bei, denn drunten saßen nicht nur Freunde und Verwandte, auch Theaterleute hatten sich eingefunden, die Überlebenden des Dramatischen Theaters zu begutachten.
Fehlerlos lief das Stück ab und sogar unter Gelächter. Zwei oder drei der Mitwirkenden bekamen Engagements an auswärtige Bühnen, wenn ich mich recht erinnere, einige wurden in die Falckenberg-Schule übernommen. Der Rest wandte sich fortan neuen Rollen in bürgerlichen Berufen zu, darunter Hauptrollen, die ihnen auf der Bühne versagt geblieben wären. Unentdeckt blieb auch der Regisseur. Keine Berufung zum Schauspieldirektor hemmte seinen Weg. Er begriff, wohin die Reise nicht geht. Und das ist für einen Suchenden sehr wichtig.
Inferno der Lebensfreude
Welches Faschingsfest nach dem Krieg war das schönste?
Wen ich auch fragte, ob Freunde aus unserer alten Clique, Bekannte aus anderen, oder geistig Verwandte, die mir erst später über den Weg gelaufen sind — alle antworteten ohne Zögern:
»Die erste Traumkulisse in den Kammerspielen«. Offensichtlich hat niemand die Trilogie vom 26. bis 28. Februar 1949 versäumt.
Mit ein Grund für diese Übereinstimmung ist sicher die Tatsache, daß es bis dahin nur private Feste gegeben hatte. Nur — in Anführungszeichen. Denn Räumlichkeiten, Anordnung und Dekorationen mancher dieser Feste hätten sogenannten Faschingshochburgen mehr Caché, mehr Glanz gegeben, als später mit erheblichem Aufwand erreicht wurde.
Ein weiter Grund liegt auf der Hand — die Theaterarchitektur mit Foyer, Rang, Buffet und so weiter. Hauptursache aber war ein Manko. Warum auch immer, vielleicht aus Kleinlichkeit seitens der Stadtverwaltung, der die Bühne untersteht — jedenfalls durften die Sitzreihen im Parkett nicht herausgenommen werden. Also mußte die Theaterschreinerei in Tag- und Nachtarbeit mit Balken und Brettern die gesamte Bestuhlung überbauen. Da der Boden des Zuschauerraums nach hinten ansteigt, entstanden drei Terrassen verschiedener Höhe. Von der letzten konnte man Besuchern auf dem
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