Frösche, die quaken, töten nicht: Roman (German Edition)
allein.
»Liv hier.
Dag, passt es gerade?«
»Bestens,
meine Liebe, alles schläft mehr oder weniger. Ich bin frei für dich.«
»Nein, für
dich solltest du dir freinehmen, für dich und dein berufliches Fortkommen.«
»Ach, Liv,
ich bin kaputt, der Tag mit den Kindern war anstrengend, ich habe wirklich keine
Lust, jetzt noch an meinen Beruf zu denken«, sagte sie schlapp. Sie sprachen über
ihre verlebten Tage, über das Wetter und andere Belanglosigkeiten, als sie mit einer
interessanten Information rausrückte: »Warte, Liv, etwas habe ich noch nachgelesen.«
Ihre Stimme wurde lebendiger. »Es gibt tatsächlich Mörder unter den Mythomanen.
In Extremfällen artet diese Krankheit in diese mögliche Richtung aus, aber nur in
seltenen Extremfällen.«
Dag wartete
Livs Reaktion ab. Sie fiel nicht gerade begeistert aus. »Ich habe es mir fast gedacht,
danke, Dag. Ich bin so müde«, erklärte Liv ihr die mangelnde Begeisterung. »Es braucht
keine Kinder, aber für mich war es heute auch ein bisschen viel. Trotz der Wellness-Anwendungen
nagt der berufliche Stress wieder an mir. Aber egal, ich will es ja so. Mach dir
keine Gedanken, morgen ist es schon besser. Es war einfach schön, deine Stimme zu
hören, die Stimme einer wahren, echten Freundin.«
»So viel
Pathos?«, warf Dag ein. »Au weia, was ist denn passiert? Stehst du vor einem Moloch
der Intrigen und Unwahrheiten?«
»Du hast
wie immer so recht, Dag. Ich wühle ständig in fürchterlichen Abgründen von Zuständen,
die ich im Inneren verachte. Warum habe ich mir nur solch einen Beruf ausgesucht?«
Dag schwieg.
Im Grunde wollte Liv auch keine schlaue Antwort hören. Sie brauchte nur einen Menschen,
der sie kannte, mochte und zuhören konnte. Es beruhigte beide. Beide konnten sich
nun entspannt zur Nachtruhe begeben.
In ihrem
Zimmer angekommen, schaute Liv in den Plan für den morgigen Tag. Ihr Gesicht wollten
sich die Damen der Kosmetik noch einmal vornehmen. ›Ist okay, kann nicht schaden‹,
dachte sie sich. Vielleicht konnte sie ja eine Massage noch zusätzlich buchen. So
eine mit diesen heißen Kräuterstempeln, das wäre es jetzt. Als Ersatz ging sie in
die Badewanne. Während sie ihren Gedanken und dem Badewasser freien Lauf ließ, hörte
sie Musik auf ihrem MP3-Player. Herrlich, sie fühlte sich frei, leicht und glücklich.
Obwohl ihr der Grund für diese Glücksgefühle in diesem Moment nicht bewusst war.
Um nicht
in der Badewanne einzudösen und gegebenenfalls die dritte Leiche in Folge in diesem
Hotel abzugeben, raffte sie sich auf und ging mit noch feuchter Haut ins Bett. Sie
schlief wie eine Tote. Sie hatte keine Erinnerung an irgendwelche Träume, sie schlief
und wachte in derselben Stellung wieder auf, in der sie eingeschlafen war.
Irgendetwas
war anders.
54
Es war noch dunkel. Der Radiowecker
leuchtete in roten Zahlen 3:52 Uhr. Liv wollte sich gerade in ihre Lieblingsschlafstellung
mit Kissen auf dem rechten Ohr umdrehen, da schreckte sie ein tiefes, bedrohliches
»Hallo!« auf. Hellwach und senkrecht saß sie in ihrem Bett und griff zum Lichtschalter.
»Lass das
Licht aus!«, befahl ihr die Stimme aus dem Off. Sie spürte, es war ernst, sie gehorchte
unwillkürlich. Die Bettdecke zog sie wie zum Schutz hoch bis ans Kinn. Darunter
war sie nackt.
»Wer sind
Sie? Was wollen Sie?« Liv versuchte, irgendetwas zu erkennen, aber sie sah nur schwarze
Leere.
»Das tut
jetzt nichts zur Sache, hör mir genau zu, dann wird dir nichts passieren.«
»Alles klar!«,
brachte sie kleinlaut hervor. »Aber ein bisschen unfair finde ich Ihr Verhör schon
– oder dein Verhör, kennen wir uns?« Liv wurde kurz mutiger.
Bis – bis
sie dieses Ritsch-Ratsch-Klicken hörte. Es war eindeutig, Liv kannte dieses Geräusch,
es war das Spannen des Schlittens einer Pistole.
»Mach es
nicht kompliziert. Halt einfach die Klappe, bleib sitzen und beweg dich nicht. Ich
sehe alles.«
Er konnte
wohl durch ein Infrarot-Sichtgerät schauen. »Unfair«, wiederholte Liv ganz leise.
Sie lauschte
auf jedes Wort, auf jeden Ton. Ihr Herzschlag war der einzige Lärm, der dagegenhielt.
Sie musste die Luft anhalten, um zu hören, denn die Stimme wurde leiser. Dadurch
schnellte ihr Herzschlag wieder in die Höhe, verdammt. »Sprechen Sie etwas lauter«,
forderte sie.
Darauf zischte
er: »Du sollst doch still sein, habe ich gesagt!«
Liv spürte
eine kalte Berührung an ihrer Schläfe und war wie versteinert. Die Mündung der Pistole.
Blanke Angst stieg in ihr auf,
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