Frösche, die quaken, töten nicht: Roman (German Edition)
Für Liv war es wie ein böser Traum.
Ihr war zwar etwas schwindelig im Kopf, aber sie war voller Tatendrang, fühlte sich
innerlich dem Ziel nahe. Denn nur ein in die Enge getriebener Täter hatte eine derartige
Veranstaltung wie heute Nacht nötig. Ihr Jagdtrieb war erneut geweckt.
Gut gesättigt
und gestärkt, ging Liv ins Bad. Da sah sie, dass es kein Traum war. Das Denkmal
auf ihrer Nasenspitze war ein peinlicher Erinnerungsfleck. Es sah lächerlich aus.
Liv überlegte, sich hier im Hotel als Kinderclown anstellen zu lassen. Massage verteilte
das Rot nur kurz über die ganze Nase, bis der Ring wieder zum Vorschein kam. Auch
punktuelles Schminken schien den Makel eher zu betonen als zu verdecken. Es gelang
nicht wirklich. Da musste ein Profi ran. Zum Glück hatte sie ja gleich ihre Gesichtsbehandlung.
Die Kosmetikerin war die Rettung in der Not. Aber vorher musste Liv unbedingt Frank
Golström anrufen.
Das war
gar nicht nötig, denn er rief genau passend an, als sie fertig war, das Zimmer zu
verlassen.
»Liv, wie
geht es dir? Ich bin im Hotel, hast du zehn Minuten Zeit?«
»Klar, ich
komme sofort.«
Liv zog
die Jogging-Jacke über und wartete auf Frank in der Sitzecke im Foyer. Ein wenig
verlegen hielt sie sich die Hand vor die Nase. Er kam. Sie wünschte sich nun ihren
Pony zurück oder wenigstens ein paar Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht fielen. Aber
nein, ihr Haar hatte sie wie immer nach hinten gebunden.
»Man sieht
kaum noch etwas, die Hand kannst du ruhig runternehmen.« Er schaute sie grinsend
an. »Ich habe neue Nachrichten von unseren Gerichtsmedizinern. Halt dich fest.«
»Von der
Gerichtsmedizin? Ich dachte, dein Verhör von diesem feigen Pickelgesicht hätte etwas
gebracht.«
Frank sah
müde aus, schüttelte den Kopf. »Der Typ sagt nichts. Aber er ist uns einschlägig
bekannt. Er wird gesucht wegen eines Raubüberfalls in München. Die Kollegen sind
noch an ihm dran. Der wird gerade weichgekocht. Bei ihm dauert es halt etwas länger.
Aber ich wollte dir doch etwas ganz anderes erzählen. Hör zu!«
Die kurze
Enttäuschung wich der Spannung. Frank hatte zwar dunkle Augenränder um seine stahlblauen
Augen, aber er sah trotzdem gut aus. Wie ein kleiner Junge freute er sich darüber,
dass er Liv diese Nachricht überbringen konnte.
»Der Senior
war sterbenskrank. Er hätte nur noch wenige Wochen überlebt. Ein übergroßer Gehirntumor
– nicht mehr zu operieren –, er hatte keine Wahl.«
»Wie, keine Wahl? Wieso sagst du
das? Jeder Mensch hat immer eine Wahl«, erwiderte Liv erregt.
Nun erschien
der gesamte Fall unter einem ganz anderen Licht. Plötzlich kam auch ein freiwilliger
Tod in Betracht.
»Er hat
es aber wohl niemandem gesagt. Denn die Kinder, die Ehefrau und die Freundin haben
angeblich nichts gewusst, auch einen Selbstmord nicht in Erwägung gezogen«, hatte
Frank bereits recherchiert.
»Aber wir.«
Er grinste. »Die Kollegen nahmen sich den Leichnam bis ins Detail vor. Deshalb dauerte
alles auch so lange. Und es erscheint möglich, ja wahrscheinlich, dass sich der
Tote die Giftdosis selbst verabreicht hat.«
Livs Mund
stand offen, blieb offen. Sie starrten sich nur an. Die Gehirnzellen arbeiteten
wie wild.
»Ein Selbstmord?«,
fragte sie Frank. »Aber warum so und warum an diesem Ort? Was ging in dem alten,
kranken Mann denn bloß vor?«
»Das weiß
wohl keiner so genau. Wir können nur aus den Fakten Rückschlüsse ziehen. Und nach
dem Bericht der Pathologen und Gerichtsmediziner sieht es so aus, dass der Mann
sich am Frühstückstisch im Hotel eine Spritze mit Batrachotoxin von einem Pfeilgiftfrosch
selbst injiziert hat. Dabei nahm er eine sehr feine, lange Nadel. Der Einstichwinkel
und ein Abdruck drum herum, die zeigen, dass die Haut stark zusammengedrückt wurde,
bestätigen, dass er es selbst war. Er war geübt von seinen selbst verabreichten
Insulin-Impfungen. Er hat eine Ader getroffen, deshalb ging alles ziemlich schnell.
Ist das Nervengift erst in der Blutbahn, sind bald alle Nervenimpulse lahmgelegt,
bis zum Herzstillstand. Die Spritze muss er irgendwo im Blumentopf, unter einer
Fliese oder sonst wo neben dem Tisch versteckt haben. Kollegen nehmen sich den Frühstücksraum
noch einmal vor. Sie suchen alles unter diesem Gesichtspunkt ab.«
Liv begriff
gar nichts mehr. Solch ein Wahnsinn. Mitten im Frühstücksraum – und vor ihren Augen.
»Er wollte,
dass es so aussieht wie ein Mord.«
Bei diesen
Worten von Frank blieb ihr fast die Spucke weg. Aber genau
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