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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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gebunden. Seine Haut war genauso kaffeebraun wie die der weiblichen Puppe und sein Kopf war mit kurzen schwarzen Locken bedeckt.
    Lorrie legte die weibliche Puppe auf ihre Knie und nahm den Jungen in die Hand. Wieder war sie über die feine Handarbeit der Kleidung erstaunt. Wie konnte jemand auf so kleinen Flächen so perfekt nähen? Sie hörte ein leises Knarren. Lorrie blickte auf. Vielleicht war diesmal Sabina nicht die Übeltäterin, aber die ganze Seite des Puppenhauses schwang langsam auf. Wieder erblickte Lorrie die Küche, das grüne Schlafzimmer und das kleine Zimmer mit dem Muster auf dem Fußboden – der Zwilling des Raums, in dem sie saß.
    Auf dem Tisch standen allerdings jetzt keine Zutaten für den Weihnachtsauflauf. Statt dessen schien es, als sei ein Festessen im Gang und die Speisen stünden zum Servieren bereit. Schüsseln und Teller standen auf dem großen Tisch und auf einem kleinen Beistelltisch daneben. Die Herdplatte war mit Töpfen und Pfannen bedeckt.
    Lorrie stellte die weibliche Puppe an den hohen Küchenschrank mit seinen vielen Schüsselstapeln und versuchte, den Jungen neben den Herd zu stellen. Nur daß er nicht stehenblieb, vielleicht nicht stehen konnte. Schließlich setzte sie ihn auf einen kleinen Hocker.
    Und wie sie es schon einmal erlebt hatte, begann das Zimmer, in dem sie saß, zu verschwimmen, und … – ein Schauer wirbelnder Schneeflocken schob sich zwischen sie und das Haus. Dann klarte die Sicht auf und Lorrie erkannte, daß sie sich nicht auf dem Rücken eines Pferdes befand, wie sie erwartet hatte, sondern in einen Schlitten gekuschelt saß. Ein dichtes, weißes Fell lag über ihr und bedeckte sie fast bis zu den Schultern und ihr Kopf war von einer wohlig-warmen, mit Pelz besetzten Kapuze verhüllt. Sie teilte den Sitz im Schlitten mit jemand anders und so drehte sich Lorrie schnell, um ihren Gefährten zu sehen.
    Auch sie trug eine Kapuze mit Pelzbesatz. Im Licht des Spätnachmittags schien diese rot zu leuchten, und der Pelzbesatz rahmte ihr Gesicht weiß ein. Lotta lenkte den Schlitten mit geübter Leichtigkeit. Es war ein kleiner Schlitten in Form eines Schwans mit stolz gekrümmtem Hals und hocherhobenem Kopf. Auch das Pferd, das allein vor dem Schwanenhals herlief, war ein Schimmel, aber das Geschirr war genauso rot wie Lottas Kapuze und Troddeln und silberne Glöckchen hüpften und bimmelten, während es schnell durch den Schnee trabte. Von einigen Ästen, die sie über den Schoß gelegt hatten, ging ein weihnachtlicher Geruch nach Tannen aus.
    »Fröhliche Weihnachten, Lorrie!« Lottas klare Stimme übertönte das Klingeln der Glöckchen. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sondern eine junge Dame. Aber sie war auch immer noch Lotta, und so lächelte Lorrie zurück.
    »Fröhliche Weihnachten!«
    Es war alles so erregend, dieses Einherjagen über die verschneite Straße mit dem Klingen der Glöckchen, dem Tannengeruch und überhaupt allem. Voraus allerdings konnte Lorrie immer noch nicht die erwarteten roten Klinkerwände des achteckigen Hauses entdecken. Falls sie dorthin fuhren, hatten sie noch ein Stück Wegs vor sich.
    »Schmückt die Säle mit Holunderzweigen«, sang Lotta. »Wir haben Tanne und keinen Holunder, Lorrie. Ach, das ist ein guter Tag.«
    »Ja!«
    Der Schnee stäubte hinter den fliegenden Hufen des Pferdes auf und blieb zum Teil an dem schützend geöffneten Schwanenflügel haften. Es war klirrend kalt, aber bis auf ihre Nasenspitze fühlte sich Lorrie angenehm warm. Sie öffnete und schloß ihre Hände und entdeckte, daß sie unter der Decke nicht nur Handschuhe trug, sondern die Hände auch noch in einen Muff gesteckt hatte.
    »Wo fahren wir hin?« wagte Lorrie zu fragen, da das Haus noch immer nicht in Sicht kam. Sie glitten durch zwei weitere Kurven und konnten nun in ein gutes Stück offenen Landes einsehen, durch das man zwei tiefe Fahrspuren als einziges Zeugnis der Straße hindurchschneiden sah.
    Lotta schüttelte die Zügel, als wolle sie das Pferd zu einer noch schnelleren Gangart anspornen. »Ich …«, hatte sie begonnen, als ein langes trauriges Heulen ertönte. Ihr Pferd wieherte. Zwei Hunde rannten auf sie zu und dahinter kamen Reiter. Wieder bimmelten die Glöckchen am Geschirr, als Lotta die Zügel anzog. Das Pferd wurde langsamer und blieb schließlich stehen.
    Lorrie fühlte einen Schauer ihren Rücken hinunterrinnen, wie sie ihn bisher noch nie gekannt hatte. Da war etwas an diesen Hunden, an diesen berittenen Männern

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