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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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darin herum, bis er die Luftmatratze und den aufblasbaren Fernsehapparat gefunden hatte und brachte beides zu dem Lagerplatz. Er zog die Reißleine der Matratze, worauf sie ein zischendes Geräusch von sich gab und sich zur vollen Größe aufblies, Doppelbettgröße. Er zog den Stöpsel am Fernsehapparat, und auch dieser zischte und stellte sich auf, dann schnippte er mit den Fingern in Richtung des Geräts, und es schaltete sich ein.
    »O nein«, stöhnte Kaspar, »das halte ich nicht aus! Nicht noch eine Nacht dieses Roller-Derby! Ich bin ein König des Morgenlandes und ich will verdammt sein, wenn ich noch eine Nacht ohne Schlaf verbringe, weil ich diesen kaum menschlichen Kreaturen zusehen muß, die sich gegenseitig die Köpfe blutig schlagen.«
    Melchior glänzte in seinem Licht. »Dann verklage mich«, entgegnete er, ließ sich auf seiner Luftmatratze nieder und zog sein Moleskincape eng um sich. »Du weißt, daß ich unter Schlaflosigkeit leide. Du weißt, daß ich einen sehr schmerzhaften Zwerchfellbruch habe. Du weißt, daß meine Nierensteine mir wie Felsbrocken im Körper liegen. Sei zur Abwechslung mal ein Mensch, ein human being, das wird doch wirklich nicht zuviel verlangt sein.«
    Kaspar hob das Gefäß mit der Myrrhe, dem Symbol des Todes, und schwenkte es in Richtung Melchior. »Hypochonder! Genau das bist du! Ein Witz, ein Betrüger! Du liebst es, diesem Hinterhofniggerabschaum zuzusehen, wie sich die Typen gegenseitig bewußtlos schlagen. Zwerchfellbruch, ach du meine Güte! Du würdest dir Schlammringkämpfe ansehen und dabei die ästhetischen Aspekte der Anklänge ihrer Bewegungen ans Ballett rühmen. Mach es aus … oder, in Jehovahs Namen, hol wenigstens das Gebetsbuch!«
    »Die Spareribs sind gleich fertig«, unterbrach sie Balthasar. »Wollt ihr milde oder scharfe Sauce dazu?«
    Kaspar richtete seine Augen auf den Stern hoch über ihnen, der weit entfernt und doch unwahrscheinlich nah war. Er sprach zu Jehovah: »Und der gehört auch noch demselben Volk an. Der Ewige Jude dort oben macht mich mit seinem nie erlöschenden Licht verrückt, beobachtet uns als institutionalisierte Körperverletzung die ganze Nacht über und klappert den ganzen Tag mit seinen goldenen Ketten … und Black is Beautiful ist dort oben zu Ende. Ich werde an Sodbrennen sterben, bevor ich den Erlöser überhaupt finde. Danke Jaweh, vielen Dank. Warte nur, bis du mal um einen Gefallen bittest.«
    »Mild oder scharf?« fragte Balthasar resignierend.
    »Ich hätte meine gerne mit der milden«, antwortete Melchior süßlich. »Und bitte gerade ein little Apfelsauce dazu.«
    »Ich möchte gefüllte Knödel«, verlangte Kaspar. Seine malachitenen Eßstäbchen erschienen in seiner Hand, er hielt sie hoch, um zu zeigen, daß er der höchsten Kaste angehörte.
    »Er ist nur gereizt«, erklärte Melchior. »Er sollte sich nicht so aufregen, Balthasar, mein Süßer. Bring uns ein paar schöne, schmackhafte Spareribs!«
    »Leck mich!« murmelte Kaspar.
    So nahmen sie ihr Abendessen zu sich, dort unter den Sternen, der nubische König, der einsame orientalische König und der jüdische König. Sie verfolgten das Roller-Derby. Außerdem spielten sie das Ratespiel, das man ›Begriffe raten‹ nennt, aber das Spiel fand ein abruptes Ende im Streit, als Balthasar und Melchior sich gegen Kaspar verbündeten und das Wort ›Tempo‹ benutzten, das nach Kaspars Ansicht kein allgemeiner Begriff für Papiertaschentücher war, sondern ein spezielles Produkt bezeichnete. Schließlich schliefen sie ein, das Fernsehgerät führte Selbstgespräche, und der Lichtschein, der von Melchior ausging, wurde von der Mattscheibe reflektiert.
    In der Nacht schien der Stern hell und rief sie selbst im Schlaf noch. Und in der Nacht flogen die Fernaufklärer der Mächte des Chaos über sie hinweg, flatterten mit ihren ledernen, fledermausgleichen Flügeln und ließen hinter sich den abscheulichen Gestank von Kohlenmonoxid der Britisch Leyland Doppeldeckerbusse zurück.
    Als Melchior am Morgen erwachte, waren seine ersten Worte: »Wer hat heute nacht diesen Furz gelassen?«
    Balthasar deutete mit dem Finger. »Sieh dir das an!«
    Der Boden war bedeckt von den unauslöschlichen Schatten der Fledermaustruppen, die darüber hinweggeflogen waren. Dunkle, rußige Umrisse von furchterregenden Kreaturen in vollem Flug.
    »Ich habe immer geglaubt, sie würden wie die fliegenden Affen in dem MGM-Film The Wizzard of Oz aus dem Jahre 1939 aussehen; Tricktechnik von

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