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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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ihm, daß Tim und ich irgendwie nicht mehr miteinander sprechen konnten. Dann wischte ich mir die Tränen ab und sah Jesse an. »He! Du hast ja abgenommen!«
    »Das ist diese Iß-was-du-willst-und-nimm-dabei-jeden-Tag-ein-Pfund-ab-Diät. Die bringt’s!« Ein Kunde kam rein und bezahlte sein Benzin. Jesse ging wieder zum Regal und füllte die Chips auf. Der Kunde – er zahlte mit Kreditkarte – sagte: »Ihr Lagerverwalter sieht genauso aus wie Elvis, finden Sie nicht auch?«
    »Nein, eigentlich nicht …« Ich kenne ihn halt nur als meinen Freund Jesse und habe nicht viel über sein Gesicht nachgedacht, wissen Sie.
    »Klar«, fuhr der Kunde fort und zeigte auf die Zigaretten. Also mußte ich die Quittung noch mal neu ausstellen. »Ja, man hat Elvis überall gesehen, auf dem Postamt in Decatur, in einem McDonald’s in Fresno, in der Baseball-Ehrenhalle … Jetzt habe ich ihn hier in einem Tankstellenladen gesehen. Glauben Sie, damit komme ich in die Presse?«
    Wir lachten ein bißchen über seinen Scherz. Eine Kundin, die Milch und Brot kaufte, stellte ihre Sachen auf der Theke ab. »Lachen Sie nicht«, sagte sie. »Gestern hat meine Katze völlig unerwartet eine alte Mono-LP reingeschleift, die ganz neu aussah. Das war Blue Hawaii!«
    Wir waren ganz schön beeindruckt davon, wie eigenartig das war – auch Jesse, der herübergekommen war, um uns zuzuhören. »Ich sage Ihnen«, fuhr die Dame fort, »es braut sich was zusammen. Es ist wie bei einem Gewitter, kurz bevor es losgeht.« Sie bemerkte Jesse. »He, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie aussehen wie Elvis? «
    »Nein, gnädige Frau. Vielleicht wie Roy Orbinson«, antwortete er. Sie sah ihn noch mal von oben bis unten an. »Ja, schätze, Sie haben recht. Also dann, fröhliche Weihnachten allerseits.«
     
    Es blieb dann eine Weile ruhig und gegen Mitternacht kam Brian, der Nachtdienstleiter, herein, um nach uns zu sehen. Ich mochte Brian nicht sehr – er tat immer so, als ob man dem Geschäft Geld stehle – aber ich benahm mich richtig nett und ahnte nichts, als er Jesse nach hinten schickte, um die Kekse und Sprudelflaschen im Inventar nachzuchecken, damit wir wüßten, ob wir über die Feiertage noch was brauchten.
    »Kommen Sie her!« rief Brian aus dem hinteren Gang, wo die Süßigkeiten und Spielsachen sind.
    »Ach je«, dachte ich. Da waren vielleicht ein paar Kinder hineingeschlichen, als ich nicht aufpaßte, und haben Spielzeug geklaut und die Plastikverpackung liegengelassen. Das machen welche, wenn man nicht vorsichtig ist.
    Aber im Novitätenregal sah alles so aus, wie es sollte. »Was ist los?« fragte ich. »Nichts ist los«, sagte Brian. »Ich wollte Ihnen nur fröhliche Weihnachten wünschen«, und er versuchte mich zu küssen.
    »He!« sagte ich und tat alles als Scherz ab. Ich meine, na ja, ich brauche den Job, wissen Sie? »Wir haben doch nicht mal einen Mistelzweig aufgehängt!« Ich schob ihn weg – und dann öffnete er den Mund und zeigte mir diese Eckzähne, die aussahen wie die Plastik-Draculazähne zum Aufstecken für den Fasching, aber seine wirkten echt.
    »Brian, was zum …«
    Und plötzlich biß er mich in die Kehle und ich konnte nicht um Hilfe rufen …
     
    Ich schien diesen langen, dunklen Tunnel hinunterzurutschen und am Ende war ein Licht und da warteten meine Eltern und meine Großeltern (außer Oma natürlich) und jeder, den ich kannte und der gestorben war, mein Schatz aus der neunten Klasse eingeschlossen, der in einen Abflußgraben gefallen war, und alle Hunde und Katzen, die mir je gehört hatten. Nur, als ich zum Ende des Tunnels kam, sah ich etwas wie ein altes Kino mit einer großen Leinwand, und die zeigte die Erde und diesen großen, alten, felsigen Asteroiden, der geradewegs drauf zuflog. Zuerst dachte ich, es sei aus einem Raumschiff-Enterprise-Film, aber dann merkte ich, daß es echt war. Und dann war der Weltraum verschwunden und Elvis war da – Elvis persönlich – und lächelte mich an. Er lächelte nur. Und dann erhob er eine Hand und sagte zu mir: »Geh zurück und warne sie!«
    Das nächste, was ich mitbekam, war, daß ich mich wieder auf dem Boden des Tankstellenladens befand und Jesse einen kalten Waschlappen auf meine Stirn legte.
    »Ich glaubte schon, du wärst tot«, sagte er.
    »Bin ich auch!« Ich versuchte mich aufzusetzen und schaffte es im zweiten Anlauf. Dann bemerkte ich, daß der ganze Fußboden von Milch schwamm, vermischt mit einer schleimigen gelb-roten Pampe, die ich nicht

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