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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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eigentlich war oder was geschehen war, aber das alles flutete zurück, als
sie den Knöchel bewegte und ihr ein brennender Schmerz bis zur Hüfte
heraufschoss. Sie sah sich um und erkannte, dass sich das Licht verändert
hatte – sie musste stundenlang geschlafen haben. Die Plastikfolie im
Fenster verzerrte das Bild, aber alles sah aus wie zuvor – in seltsamen
Winkeln wachsende Bäume, der Boden von undurchdringlichem Unterholz
überwuchert. Aber links auf der anderen Seite hatte man die Bäume gefällt, um
eine ordentliche, saubere Lichtung zu schaffen. In der Mitte erhob sich ein
Holzhaus mit roten Schlagläden. Auf der einen
Seite gab es einen Abort, auf der anderen standen zwei niedrige Hütten.
Aus einem der Schuppen stieg blauer Rauch auf, quoll aus dem schlecht verfugten
Dachvorsprung hervor. Im ersten Augenblick glaubte Chey, er stehe in Flammen.
Aber Dzo schien nicht im Geringsten beunruhigt zu sein, also ging sie davon aus,
dass alles seine Richtigkeit hatte. Vielleicht diente der Verschlag als
Räucherkammer oder Schwitzhütte.
    »Hier wohnst du?«, fragte Chey.
    »Nee«, antwortete ihr Retter. »Das gehört meinem Freund, das sagte
ich doch schon. Ich schlafe meistens im Freien, aber er ist zivilisiert, will
ein richtiges Bett mit einem Kissen haben.«
    Das klang himmlisch.
    Dzo sprang ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen und zog sich die
weiße Maske vom Gesicht, bevor er zur Haustür lief. Mit wehenden Fellen stieß
er die Tür auf und steckte den Kopf hinein. »Hallo!«, rief er mehrere Male.
»Hey, Monty, bist du da?« Keine Antwort. Er trottete um das Haus herum und
verschwand aus Cheys Sicht.
    Sie wollte ihm folgen – die Aussicht, allein zu sein, selbst
nur eine Sekunde lang, behagte ihr gar nicht –, aber sie traute sich
nicht, den verletzten Fuß zu belasten. Sie beugte sich vor, starrte durch die
schlammverschmierte Windschutzscheibe nach draußen und studierte das Dach des
Hauses. Die Schindeln sahen so makellos aus, als sei das Dach gerade repariert
worden. Wonach sie Ausschau gehalten hatte, fand sie allerdings nicht – Satellitenschüsseln,
Radioantennen, Kurzwellenantennen, irgendetwas in der Art. Was durchaus sinnvoll zu sein schien. Falls sie dort war, wo sie
zu sein glaubte, gab es nicht die geringste Verbindung zur Außenwelt.
    Als Dzo ein paar Minuten später noch immer nicht zurückgekehrt war,
kam sie zu dem Schluss, dass sie den Weg zum Haus doch allein zurücklegen
musste. Vielleicht war es drinnen ja wärmer. Vielleicht gab es sogar Zentralheizung.
Oder zumindest einen mit Holz befeuerten Ofen.
    Sie stieß die Autotür auf, sprang auf die festgetretene Erde der
Lichtung und achtete sorgfältig darauf, auf dem gesunden Fuß zu landen. Sie
roch Holzrauch und Blütenstaub, und irgendwo in der Nähe war noch ein moschusartiger Tiergeruch wahrzunehmen. Schritte knirschten
auf den Kiefernnadeln, und sie fuhr überrascht herum, sprang umher wie ein
Spastiker. Da war jemand hinter ihr.
    Es war ein schlanker junger Mann in einem grauen Baumwollarbeitshemd,
Jeans und schmucklosen Cowboystiefeln. Seine Hände, auf die ihr Blick zuerst
fiel, waren schmutzig und grob, aber die
Finger waren schmal und zartgliedrig. Sein Gesicht war blass, das kohlrabenschwarze
Haar kurz geschnitten und ordentlich zur Seite
gekämmt. Wangen und Stirn waren glatt – er konnte kaum über vierzig
sein –, aber die Augen umgab ein Netz aus Falten, und sie wirkten
bedeutend älter als die übrige Erscheinung. Die Augen blickten klar und
neugierig, und ihre Farbe war ein eiskaltes Grün, das sie schon zuvor gesehen
hatte. O
ja, diese Farbe würde sie nie vergessen.
    Es waren diese Augen.
    Hab ich dich, dachte sie. Sie hielt ihre Gefühle im Zaum und ließ
sich nicht das Geringste anmerken.

7   Chey
lächelte den Hausbesitzer an. »Hi. Ich bin Chey«, sagte sie. »Cheyenne Clark.
Sie müssen Monty sein«, fuhr sie fort und streckte die Hand aus. Er ergriff sie
und schüttelte sie einmal, ein Ritual, das er mit Mühe und Not zustande zu
bringen schien. Sein Griff war fest, aber nicht zu übermächtig – der
Handschlag eines Menschen, der absolut nichts unter Beweis stellen musste.
    »Und Sie müssen Dzos Fund sein.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß,
und sein Blick ruhte auf ihren Hüften. Falls
er das ganze Jahr hier draußen in den Wäldern lebte (und sie wusste,
dass dies der Fall war), fragte sie sich, wann er das letzte Mal eine Frau
gesehen hatte. »Meine Freunde sprechen mich
mit meinem

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