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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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Taufnamen Montgomery an«, sagte er und wandte sich von ihr
ab. Er ging auf das Haus zu, noch während er mit ihr sprach. Seine Körpersprache
verriet, dass sie ihm folgen sollte, falls sie es wünschte, es ihm aber im Grunde gleichgültig war. Seine Körpersprache war
eine Lüge, noch dazu eine schlechte. Sie fühlte seine Aufmerksamkeit,
selbst als er den Blick abgewandt hatte. »Sie kenne ich nicht. Sie können mich
Mister Powell nennen. Worauf warten Sie?« Er wandte sich ihr wieder zu. Mit
ihrem schlimmen Knöchel konnte sie nicht mit ihm Schritt halten.
    Er sah sie unverwandt an, und dieses Mal bemerkte er die blutige
Socke und den angeschwollenen Unterschenkel. »Verflucht«, sagte er so leise,
dass sie ihn kaum verstehen konnte. So leise wie das Geräusch, das die
Kiefernnadeln machten, wenn sie auf dem Boden auftrafen.
    Er trat auf sie zu und blieb unmittelbar neben ihr stehen, so dicht,
dass sie ihn riechen konnte. Er stank keineswegs wie ein Mann aus den Bergen,
aber er benutzte kein Deodorant oder Kölnisch Wasser. Nicht einmal
Rasierwasser. Hauptsächlich roch er nach Holzrauch.
    Er bückte sich und schnürte ihren Stiefel auf. Das schmerzte sehr,
aber er hielt nicht einmal inne, als sie wimmerte und sich auf die Motorhaube
des Trucks stützte. Mit einem schnellen Ruck zog er ihr den Stiefel und dann
den Strumpf aus.
    Sie wollte gar nicht hinsehen. Sie wollte nicht sehen, was sie so sehr fürchtete – die hässliche
Wunde und das nässende Fleisch ringsum. Die schwarze und gelbe
Marmorierung, wo der Knöchel angeschwollen war, bis die Haut zu platzen drohte.
    »So schlimm ist es nicht«, sagte er.
    Wollte er ihr bloß Mut machen? Für einen solchen Typ hielt sie ihn
nicht. Sie riskierte einen Blick nach unten.
    Ihr Knöchel war mit getrocknetem Blut beschmiert, aber es war bei
Weitem nicht so viel, wie sie erwartet hatte. An der Außenseite verlief eine
dicke wulstige Narbe, aber … aber die sah alt
aus. Die Verletzung sah aus wie schon vor Monaten geheilt. Es gab keine
Schwellung, auch keinerlei Anzeichen einer Entzündung.
    Unmöglich! Warum hatte es so wehgetan? Und wie hatte es so schnell
heilen können? Es konnte unmöglich sein …
    »Warten Sie hier!«, knurrte Monty. Ohne ein weiteres Wort zu
verlieren, eilte er los und verschwand um die
Hausseite herum. Sie hörte Dzos Stimme, hörte das Lachen des seltsamen
kleinen Manns, aber seine Heiterkeit endete jäh. Ein hitziges Gemurmel setzte
ein, aber sie verstand kein Wort. Dennoch wusste sie mit ziemlicher Sicherheit,
worum es bei dem Gespräch ging.
    Zaghaft und mit großer Vorsicht schob sie den verletzten Fuß zurück
in den Stiefel und hielt sich nicht mit der Socke auf. Dann belastete sie den
Fuß, nur ein wenig. Es tat weh, das Gewicht darauf zu verlagern. Es tat sogar
sehr weh. Aber nicht annähernd so sehr wie erwartet.
    Sie konnte wieder gehen. Was bedeutete, dass ihr verschiedene
Möglichkeiten offenstanden.
    Sie humpelte zur Haustür und trat ein. Sie brauchte weitere Informationen.
    Das kleine Haus setzte sich aus
einem Zimmer und einem Dachboden zusammen, zu dem statt einer Treppe
eine Leiter hinaufführte. Es roch nach uraltem Rauch und relativ frischem
Schimmel. Das Sonnenlicht, das durch die vergilbten Vorhänge fiel, verlieh dem
Raum die Farbe von Karamell, was ihn eher anheimelnd als urig machte. Die
spärlichen Möbel waren größtenteils aus unbearbeitetem Holz gefertigt. Die
Sitzflächen der Stühle und die Tischfläche waren abgeschmirgelt, aber an
anderen Stellen schmückte noch immer alte Rinde Stuhlbeine oder die Unterseite
eines Regals. Es gab keinen Fernsehapparat, kein Radio, keine Spur von
Elektrizität. Nun, wo sollte die auch herkommen? So weit nördlich gab es keine
Kraftwerke und auch kein Stromnetz. Unwillkürlich fragte sich Chey, wo Dzo den
Treibstoff für seinen Truck herbekam.
    Tatsächlich gab es einen Ofen, der mit Holz befeuert wurde, aber er
war kalt. Daneben lag auf einem Holzständer eine Schachtel wasserdichter
Streichhölzer, aber Brennholz war nirgends zu sehen. Chey entdeckte auch
nichts, womit sie ein Feuer hätte entzünden können, also ließ sie den Ofen in
Ruhe. Sie hatte sowieso nicht die Zeit, ein vernünftiges Feuer zu machen. Jede
Sekunde würden die beiden Männer eine Entscheidung treffen und nach ihr sehen.
    Sie suchte das übrige Haus nach Nahrungsmitteln ab. Sie war am
Verhungern und absolut bereit, alles auch nur halbwegs Essbare zu stehlen. Aber
sie fand kaum etwas Vernünftiges.

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