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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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abschlug.
    »Lady? Bist du’s?«, drang Dzos Stimme durch den Wald. »Hey, komm
schon, wir tun dir nichts! Das ist vorbei.«
    Die einzigen Leute im Umkreis von hundert Kilometern, die ihr helfen
konnten, waren dieselben, die sie hatten töten wollen. Sie konnte sich
verstecken – oder weglaufen. Dann würde sie entweder im eiskalten Wald
sterben oder leben … als Wolf. Zu viel. Zu viel, worüber sie nachdenken musste.
Besser, sie stellte sich der konkreten Situation, besser, sie musste es nicht
allein durchstehen. Sie stand auf, winkte und schrie, bis sie die Hupe wieder
hörte, diesmal nur näher. Sie rannte durch den Wald, einen Arm vor die Brüste
gedrückt, eine Hand auf dem Schamhaar, und brüllte um Hilfe. Schließlich
entdeckte sie den Wagen und nahm den Arm von den Brüsten, um winken zu können.
Und bedeckte sich schnell wieder, als sie Powell auf der Ladefläche sah, der
sie finster anstarrte. Er war in eine dicke Wolldecke gehüllt. Dzo fuhr den
Truck mit aufgesetzter Maske.
    Powell stand auf der Ladefläche auf. «Waffenstillstand«, sagte er.
    »Was? Ich bin nackt und friere. Spielt keine Spielchen mit mir!«,
erwiderte Chey.
    »Ich rufe einen Waffenstillstand aus. Wir hören auf zu kämpfen und
versuchen miteinander klarzukommen. Okay?«
    Sie antwortete nicht – aber welche Wahl hatte sie? Er warf ihr
ein Kleiderbündel und eine grüne Decke zu. Dann sah er gerade lange genug weg,
damit sie sich Hose und Hemd anziehen konnte. Dzo wandte sich nicht ab, starrte
sie aber auch nicht anzüglich an. Sie hatte den Eindruck, dass sie für ihn
immer gleich aussah, ob angezogen oder nackt. Aber als sie auf den
Beifahrersitz steigen wollte, schüttelte er den Kopf und wies mit dem Daumen
auf die Ladefläche.
    »Wölfe fahren hinten«, sagte er. »Ich kriege den Gestank nie aus den
Sitzen.«
    Mit unbewegter Miene – ihre Seele war viel zu verkrampft, als dass sie irgendetwas fühlte –
stieg Chey auf die Ladefläche. Powell starrte sie an, sagte aber kein
Wort. Der Truck erwachte grollend zum Leben und rollte einen Pfad entlang, der
eigentlich nicht für Autoverkehr gedacht war. Sie musste sich an der Seite
festklammern, wenn sie nicht wie ein loses Frachtstück auf der Ladefläche
herumgestoßen werden wollte. Sie hüllte sich in die Decke und wandte den Blick
ab. Irgendwann ließ das Zittern ein wenig nach.

11   Eine
Weile fuhren sie schweigend durch den Wald. Chey war tief in Gedanken
versunken, die ihr keine Freude bereiteten, die sie aber nicht abschütteln
konnte.
    »Er hat dich verletzt«, sagte Powell schließlich.
    Chey blickte blitzschnell zu ihm hoch. »Was?«, stieß sie hervor.
Einen Augenblick lang drohte sie hysterisch zu werden. Gleich würde sie
losheulen. Noch konnte sie sich nicht mit ihm unterhalten, konnte sich nicht an
dem Spiel beteiligen, ein soziales Wesen zu sein. Ihre Persönlichkeit hatte
sich wie ein verletztes Tier in ihrem Bau verkrochen und zusammengerollt, um
sich die Wunden zu lecken. »Was?«, wiederholte sie. »Er? Wer er ? Wer hat mich verletzt?«
    »Er hat dich ganz schön übel
zugerichtet. Und er … nun, damit ist mein Wolf gemeint.« Sein Gesicht war wie in Stein
gemeißelt. Vermutlich hatte er mehr als genug Zeit gehabt, sich an diese
Situation zu gewöhnen. Während er sprach, wandte er den Blick nicht von ihrem
Gesicht, fummelte nicht einmal unter seiner Decke herum. Aus langer Erfahrung
wusste Chey diese Art Körpersprache genau zu deuten. Er musste ihr etwas
Unerfreuliches beibringen, und er würde es wie ein Mann erledigen, ein Mann mit
einem großen M. »Ich versuche mir
vorzustellen, dass der Wolf ein anderes Wesen ist. Dass er sich von mir
unterscheidet. Dass wir gar nicht dieselbe Kreatur sind. Dass ich aufhöre zu
existieren, wenn er erscheint, und genau andersherum.«
    »Und wie klappt das für dich?«, fragte Chey. Aber sie fragte viel zu
schnell, ihre Stimme klang zu schrill und zu laut. Sie konnte auch ihre eigene
Körpersprache deuten.
    »Manchmal … hilft es.«
    Chey wollte sich von seinem Blick lösen und entdeckte zu ihrer
Überraschung, dass das nicht möglich war. Seine Augen zogen ihren Blick magisch
an. »Okay. Also … dein Wolf … er …«
    »Ich glaube, er verletzte dich. Biss dich oder so. Ich möchte mich
dafür entschuldigen. Ich erinnere mich erst später an Ereignisse, wenn ich
wieder sauber und im Warmen bin und klar denken kann.«
    »Ich würde mich lieber nicht daran erinnern«, meinte Chey.
    »Kann ich

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