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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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verstehen.«
    Sie rieb sich mit den Handballen über die Augen. »Es wird wieder
geschehen, richtig?«
    Er antwortete nicht. Vielleicht hielt er es für eine rhetorische
Frage, vielleicht hatte er auch nicht verstanden, was sie meinte.
    »Ich werde mich erneut verwandeln. Wieder ein Wolf sein.«
    »Klar«, bestätigte er.
    »Es wird immer wieder passieren. Solange ich lebe.«
    Endlich senkte Powell den Blick. Es war nicht hilfreich, von diesen
grünen Augen fixiert zu werden. »Immer wenn der Mond aufgeht. Jedes Mal.«
    Chey schüttelte den Kopf, und das Haar schlug ihr gegen die Wangen.
Es fühlte sich fettig und dick an. »Nein, hör zu! Ich weiß es wieder. Als du …
als der Wolf mich kratzte, dort oben auf dem Baum, da war der Mond nicht voll.
Es war bestenfalls Halbmond. Er war nicht voll.«
    »Diesen Unsinn mit dem Vollmond hat man sich bloß fürs Kino
einfallen lassen. Wir verwandeln uns, wann immer ein Hauch von Mond am Horizont
zu sehen ist, selbst bei Neumond, selbst wenn
wir ihn nicht sehen. Wir können im tiefsten Schacht einer Kohlenmine
stecken, wenn er aufsteigt. Wir können uns auf dem Grund eines Sees befinden,
und es spielt nicht die geringste Rolle. Es gibt keine Möglichkeit, den Vorgang aufzuhalten. Jedes verdammte Mal. Ich suche
nach einer Heilung, und das seit …«
    »Nein«, sagte sie. »Bitte, hör
auf! Ich kann im Moment nicht über die Regeln sprechen«, beharrte Chey.
»Ich kann mir das einfach nicht anhören.«
    Bis zum Ende der Fahrt sagte Powell kein Wort mehr.
    Als sie die Hütte erreichten, war es fast schon Nachmittag. Die Männer widmeten sich verschiedenen Tätigkeiten,
sammelten Feuerholz und falteten Decken zusammen. Chey stand mitten auf dem
Hof, direkt vor dem Haus. Stand einfach mit verschränkten Armen da und rührte
sich nicht.
    Aus dem Schornsteinrohr, das aus der Hauswand ragte, kam Rauch.
Drinnen prasselte ein Feuer, und durch die offenen Türen drang etwas gelbes
Licht heraus. Wartete Powell darauf, dass sie aus freien Stücken eintrat?
Vielleicht glaubte er auch bloß, dass sie etwas Freiraum brauchte. Zeit für
sich, um die Geschehnisse zu verarbeiten.
    Niemals würde sie sich daran gewöhnen, glaubte sie. Niemals würde
sie es akzeptieren.
    Aber es war sinnlos, den ganzen Tag auf dem Hof herumzustehen. Sie
betrat die Hütte und wärmte sich am Ofen auf.
    Powell machte ihr ein Bett zurecht, stattete die primitive Holzcouch
mit Decken und Kissen aus. Es sah eher wie die Schlafstätte eines Hunds aus als
wie die eines menschlichen Wesens. Als er fertig war, ging er einen Schritt auf
sie zu, aber sie ließ ihn nicht in ihre Nähe kommen. Er versucht es erneut,
wollte ihren Arm berühren, und sie zuckte zurück, als wäre er eine zubeißende
Schlange. Er begriff und zog sich in seine Räucherkammer zurück. Chey folgte
ihm bis zur Tür und beobachtete, wie er den Raum betrat und die Tür hinter sich
zuzog. Dzo betankte den Truck aus einem gewaltigen Plastikkanister. Er war ganz
vergilbt vom Alter und durchsichtig, und sie sah den Schatten der Flüssigkeit,
die im Inneren hin und her schwappte.
    »Na, machst du’s dir gemütlich?«, fragte Dzo und grinste sie an.
    Sie knallte die Tür zu. Es gab kein Schloss, nur einen einfachen
Riegel, aber sie zog hart daran, um sicherzugehen, dass er einrastete. Dann
warf sie sich in einen Sessel – und nicht auf die Bettstatt – und
überließ sich ihrem Missmut.
    Als sie sich vor einem Tag im Wald verirrt hatte, war sie der festen
Überzeugung gewesen, sterben zu müssen. Es war das schrecklichste Gefühl
gewesen, dem sie je ausgesetzt gewesen war. Doch sie lebte garantiert noch
viele Jahre lang, und diese Aussicht war weitaus schlimmer.
    Es gab keinen Rückweg, keine Heilung außer dem Tod. Das hatte Powell
ihr sagen wollen. Sie war für den Rest ihres Lebens mit dem Dasein als Wolf
geschlagen.
    Was sollte sie tun? Aufgeben? Dass sie zu einem Ungeheuer wurde, war
in ihren Plänen nie vorgesehen gewesen. Wie sollte sie ihr Leben verändern, um
Platz für eine riesige Wölfin zu machen? Wie sollte sie einen Job behalten,
wenn sie sich alle zwölf Stunden in ein Tier verwandelte? Daheim in Edmonton
hatte sie Freunde gehabt. Größtenteils Cowboytypen, Kerle mit Pferdeschwänzen
und Motorrädern. Männer, die versuchen würden, sich einen Wolf als Haustier zu
halten. Keiner von ihnen würde begreifen, in welche Kreatur sie sich verwandelt
hatte. Hätte sie versucht, es ihnen zu erklären, hätten sie es vermutlich für
cool

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