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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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Tiergedanken. Wenn wir uns zurückverwandeln, erinnern wir uns nie ganz
genau daran, was geschehen ist. Ich habe viel
Zeit damit verbracht, darüber nachzugrübeln. Am einleuchtendsten ist die
Erklärung, dass die Wolfserinnerungen keinerlei Sinn ergeben, wenn ein menschlicher Verstand sie auseinandernimmt. Es ist,
als würdest du in einer Fremdsprache träumen, und wenn du aufwachst,
könntest du nicht übersetzen, was du in deinem Traum gesagt hast.«
    Chey war schon zuvor auf einen ähnlichen Gedanken gekommen, hielt
aber den Mund. Sie lernte gerade die Regeln.
    »Aber du musst verstehen, dass es keine Rolle spielt, welch guter
Mensch du bist. Jetzt bist du ein Killer. Eine Wilde. Komm her und sieh dir das
an!« Powell stieg auf einen Felsblock, der auf ein Gelände hinaussah, das Chey
wie eine fleckige Wiese vorkam. »Selbst das Land hier oben ist anders, und du
musst bei jedem Schritt aufpassen. Das da ist ein Tundramoor«, sagte er.
»Teilweise gefrorenes Sumpfland. Sieht stabil aus, nicht wahr? Solltest du
versuchen, es zu überqueren, erwartet dich eine Überraschung. Klar, an der
Oberfläche wachsen Pflanzen, aber darunter befindet sich nichts als Wasser, und
du kannst unmöglich sagen, wie tief es ist.«
    »Die Antwort des Großen Weißen Nordens auf Treibsand«, sagte Chey,
und er nickte. Sie stieg neben ihm auf den Felsen und setzte sich.
    »Unsere Beziehung zu unseren Wölfen ist wie ein Tundramoor, klar?
Wir sind die fest aussehende Oberfläche. Die Falle. Wir können uns darin sogar
selbst fangen, können überzeugt sein, wir hätten die Kontrolle. Aber das haben wir nicht, und das wird auch niemals so
sein. Darunter sind wir tödlich – und das können wir nicht ändern.«
    Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Okay. Also das Leben ist
Scheiße, und wir können nicht sterben. Toll.«
    Er hob die Schultern. »Ich tue nicht so, als genösse ich diesen
Fluch. Aber es ist auch kein Schicksal, das schlimmer ist als der Tod. Die
Wölfe sind nicht völlig ohne Tugenden. Einiges
können sie besser als wir Menschen. Sie haben hier höhere
Überlebenschancen, weil sie Möglichkeiten kennen, an Nahrung zu kommen, die uns fehlen. Wenn sie essen, ernähren auch wir uns.«
Er runzelte die Stirn. »Ich versuche im Gedächtnis zu behalten, dass ich dir
heute Nacht das Jagen beibringe«, sagte er. Wenn der Mond aufging, meinte er.
Er meinte, dass er ihr zeigen wollte, wie man als Wolf jagte. Beim Gedanken an
die erneute Transformation erschauerte Chey. »Dieses Land gehört ihnen. Sie
jagten das Karibu schon vor Hunderttausenden von Jahren – lange bevor der
erste Mensch auftauchte. Vielleicht ist dir ja aufgefallen, dass sie nicht wie
andere Wölfe sind.«
    »Die Zähne«, sagte Chey und schluckte entsetzt. Als sie oben auf dem
Baum gesessen und auf Powells Wolf hinuntergestarrt hatte, waren ihr vor allem
die Zähne aufgefallen.
    Er nickte. »Der Fluch wurde vor zehntausend Jahren ausgesprochen, am
Ende der letzten Eiszeit. Damals gab es hier Timberwölfe, aber die waren
kleiner und nicht so grauenerregend. Die
Schamanen, die diesen Fluch erschufen, wollten in den Herzen ihrer Feinde
Furcht erzeugen, wollten es ihnen so richtig zeigen. Also wählten sie ein Tier,
das jedem Angst machte – den Canis dirus .
Der verfügte über gewaltige Zähne zum Knochenknacken und riesige Pfoten, damit
er auf dem Schnee laufen konnte. Das machte ihn für jeden Paleo-Indianer zu
einem Ungeheuer. Der Canis dirus ist mittlerweile
ausgestorben, aber zu seiner Zeit erlegten er und seine Artgenossen
Wollhaarmammute und Riesenfaultiere. Das waren hartgesottene Viecher. Damals
war alles größer. Und bösartiger.«
    »Dzo sagt, ein Timberwolf greift niemals einen Menschen an«, warf
Chey ein. »Er sagt, wir sehen nicht wie ihre Nahrung aus.«
    Powell nickte. »Ja. Solange man
einen Wolf nicht herausfordert, und dazu müsste man ihn wohl mit einem Stock
quälen, lässt er einen in Ruhe. Bei dem Canis dirus war das anders. Er tötete Menschen, weil Menschen
damals nicht über die nötige Technik verfügten, um ihnen Angst einzujagen. Aber
es steckt noch mehr dahinter. Der Fluch sorgt dafür, dass unsere Wölfe uns
verachten. Ein Mensch zu sein, gefällt ihnen genauso wenig, wie es uns gefällt,
ein Wolf zu sein. Sie wollen immer der Wolf sein – vermutlich hast du das
gefühlt.«
    Chey nickte. Sie erinnerte sich noch genau, wie gut sich die
Verwandlung angefühlt hatte. Das ekelte sie an, beleidigte ihre Menschlichkeit.
Aber sie

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