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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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bestimmt der gleiche Ausdruck, den er immer zeigte. Eine Mischung aus
Nachdenklichkeit und Heiterkeit. Sie erkannte, dass die Maske, die zuvor
einfach nur unheimlich gewirkt hatte, so geschnitzt war, dass sie den gleichen
Ausdruck zeigte.
    »Wird gemacht«, sagte sie in dem Glauben, er warte auf eine Antwort.
Aber er stand einfach nur eine Weile da, bis er schließlich etwas sagte.
    »Er mag dich, weißt du. Ich spreche von Monty.«
    »Tatsächlich?«, fragte sie. Der Gedanke war ihr noch nicht gekommen.
    »Klar. Natürlich hat er seit mehr als fünfzig Jahren keine nackte
Frau mehr gesehen«, fügte er hinzu. »Also ist er vielleicht einfach bloß
scharf.« Nach diesen Worten kehrte er zur Hütte zurück.
    Chey blickte ihm nach. Sobald er außer Sicht war, trat sie das Feuer
aus. Sie hätte wirklich gern gebadet, aber dazu war jetzt keine Zeit. Sie
öffnete den Reißverschluss ihrer Tasche und holte das Handy hervor. Sie drückte
dreimal die Taste Fünf , und ein GPS-Display erschien.
Sie warf einen Blick auf die Bäume und zur Hütte hinüber. Dann rannte sie in
den Wald, so schnell es ihre menschlichen Füße schafften.
    Die beiden würden sie zumindest eine Stunde lang in Ruhe lassen. Sie
würden es nicht wagen, sie in der Wanne zu
überwachen. Aber dann würden sie sich fragen, warum sie so lange
brauchte, und nachsehen. Wenn sie sie dann nicht antrafen, würden sie mit der
Suche beginnen. Sie konnten sie nicht einfach abhauen lassen – Dzo hatte
sich klar genug ausgedrückt. Falls nötig
würden sie sie aufspüren und zurückbringen. Sobald sie aufbrachen, blieb
Chey kaum Zeit. Sie hatte nur wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten, den beiden
zu entkommen. Powell war lange genug ein Wolf gewesen, um zu wissen, wie man
eine Frau in den Wäldern verfolgte, davon war sie überzeugt. Aber mit einer Stunde Vorsprung konnte sie es vielleicht bis zum
Treffpunkt schaffen und wieder zurück sein.
    Chey hatte ganz vergessen, wie schwer es war, sich auf zwei Beinen
durch den betrunkenen Wald zu bewegen, und sie stolperte dreimal, bevor sie
überhaupt außer Sichtweite der Hütte war. Sie rutschte einen Hang mit losem
Erdreich hinunter und fiel mit dem Gesicht in den Schnee, aber sie rappelte
sich sofort wieder auf und stürmte weiter. Der auf dem Display angezeigte Kurs
führte sie am hohen Ufer eines das ganze Jahr über fließenden Flusses vorbei.
Das Rauschen des Wassers überlagerte alle
Geräusche, und sie hörte nicht, ob ihr Verfolger auf den Fersen waren.
Schließlich gelangte sie zu einer dichten Baumgruppe und fand die Quelle des
Flusses, einen Miniatursee, der so weiß und blau war wie der Himmel über ihr,
ein heller Spiegel. Am anderen Ufer brannte ein ungestümes rotes Licht –
eine Leuchtfackel, die eine gewaltige helle Rauchwolke verbreitete und sich
dann auflöste. Aus der Luft wäre dieses Licht
kilometerweit zu sehen gewesen, aber der dichte Baumbestand verhinderte,
dass man es vom Boden aus entdeckte, bis man am Ufer stand.
    Chey musste sich ihren Weg um den See herum suchen, was weitere Zeit kostete, die sie eigentlich nicht hatte.
Zur anderen Seite zu schwimmen, hätte zehn Minuten in Anspruch genommen, aber
dazu war es viel zu kalt – ob ihr veränderter Körper die Kälte nun
ertragen hätte oder nicht, gefühlsmäßig war sie nicht darauf eingestellt. Der
lange Weg um das Ufer herum kostete sie weitere zwanzig Minuten. Damit blieben
ihr nach ihrer Schätzung noch acht Minuten, bevor Dzo nach ihr sah und ihr
Verschwinden entdeckte.
    Auf einer Lichtung auf der anderen Seite stand ein
Zweimannhubschrauber wie eine gewaltige Libelle, die sich auf einer kargen
Grasfläche sonnt. Der Pilot, ein Indianer in einer Steppjacke, lag mit dem
Rücken zu der großen Maschine und hatte die Hände hinter dem Kopf gefaltet. Er
sah nicht einmal auf, als sie auf die Lichtung stolperte.
    Bobby Fenech seinerseits sprang auf wie von einer Schlange gebissen.
Er trug eine Pilotenjacke aus Leder und darunter ein orangefarbenes Polohemd
mit hochgeschlagenen Kragen. Auf der Nase saß eine Pilotensonnenbrille, aber er
sah so weich und harmlos wie immer aus. Seine Stachelfrisur bewegte sich selbst
in der steifen Brise des Sees nicht.
    »Mein Gott, Chey, man schleicht sich doch nicht an einen Mann meines
Berufsstands an!«, sagte er. »Weißt du denn nicht, dass wir für unsere
Killerreflexe berühmt sind?«
    »Hi, Bobby!«, erwiderte sie und ließ sich von ihm umarmen. Sie
duldete, dass er ihr Kinn anhob und sie küsste.

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